Frau Erler, erst kürzlich entdeckete ich ihre Publikationen. Fast atemlos bin ich den heutigen Text durchgegangen, die Links werde ich später verfolgen. Man kann all diesen Irrsinn nur aushalten, wenn man eine humoristische Seite auch dort zu erkennen vermag, wo eigentlich Tränen der Verzweiflung angebracht wären. Danke!
Wieder einmal danke für die gut recherchierte Zusammenstellung. Wesentlich für die Wirksamkeit der "strategischen Kommunikation" (neu-Englisch für "Propaganda") ist deren willige Verbreitung durch unkritische Multiplikatoren in den Massenmedien. Ich hatte als Hauptgrund dafür bisher immer die Informations-Asymmetrie gehalten: Die bloße Widergabe einer "offiziellen" Quelle ist mit keinem Aufwand verbunden und wird keine "FLAK" (im Sinne des Propagandamodells von Herman & Chomsky) auslösen, während ihre Widerlegung aufwändig und wasserdicht recherchiert werden muss, wozu keine Ressourcen bereit gestellt werden.
Aber jetzt habe ich mir den von DIEM25 erstellten Zusammenschnitt der Bundespressekonferenz zum Verbot des Palästina-Kongresses angesehen und bin geschockt: Bei allen Journalisten, die die Regierungsentscheidung kritisch hinterfragen, ist eine panische Furcht spürbar und die Journalisten sind dermaßen eingeschüchtert, dass Sie es kaum schaffen, ihre Fragen zu formulieren (die Videoüberschrift von DIEM25 "Watch journalists confront German gouvernment" trifft es überhaupt nicht): https://youtu.be/vHYGTPisW0k
Auf den offiziellen Kriegsgrund der angeblichen Massenvernichtungwaffen im Irak geht übrigens auch eine Publikation von einer NATO-Konferenz 2015 in Essen ein. Dort wird nicht etwa kritisiert, dass das gelogen war, sondern dass es ein "strategic mistake" war, diesen Grund zu wählen (p. 44). Es wäre besser gewesen, auf Gräuelpropaganda zu setzen, die sich im Jugoslawienkrieg bewährt habe. Wörtliche Empfehlung aus dem Dokument: "In all future conflicts NATO should deploy sizable media teams to record and publicize the human rights abuses of the enemy and should bring evidence before the public immediately and continually. We should not expect the media to cover such stories in depth and to provide the analysis." https://www.japcc.org/wp-content/uploads/JAPCC_Conf_Read_Ahead_2015_web.pdf
Und hier ist ein kurzes Video (< 2min), das Begründungen angeblich gerechter Kriege aus 100 Jahren zusammenträgt und mit Originalzitaten unterlegt: https://youtu.be/C4o2asZCITw
Vielen dank, lieber Krysztof, dieses Nato-Dokument ist tatsächlich eine Goldgrube an strategischer Desinformation - allein schon die Behauptung, dass die Nato qua Natur (leider) immer transparent sein und die Wahrheit sagen MUSS... oder dass öffentliche Meinungen, die nicht mit dem Nato-Narrativ übereinstimmen, dann zum Anschlagsziel der Russen werden...Großartig!
vielen Dank für ihre Analyse und die zahlreich dokumentierten Hinweise zur Praxis der Desinformation im Westen. Natürlich finden wir diese Prozesse in gleicher Weise in Russland und anderswo. Regierungen halten ihre Bürger gerne bei der Stange und im Griff.
Kurz zusammengefasst lässt sich feststellen, dass die Erzählung oder das, was der Bürger verstehen soll, den politischen und anderen Zielen der Hauptakteure angepasst wird. Selektion von Nachrichten ist dafür ein geeignetes Mittel unter vielen anderen. Wie skurril es dabei zugehen kann, hat die Konrad Adenauer Stiftung in Ihren Publikationen schon 2022 kurz nach Kriegsbeginn in der Ukraine zeigen dürfen. „Wir haben die Lehre von Schmidt und Kohl vergessen, dass Verhandlungen immer den Vorrang haben, aber man militärisch so stark sein muss, dass Nichtverhandeln für die andere Seite keine Option sein kann.“ So meinte beispielsweise Frau Kramp-Karrenbauer, die ehemalige Verteidigungsministerin, erklären zu müssen. Sie vergaß zu erwähnen, dass die russische Führung noch im Dezember 21 versuchte, einen konkreten Verhandlungsvorschlag mit der Nato und den USA zu diskutieren. Oder wollte „KK“ dem geneigten Publikum weismachen, dass ein Militärbudget der Nato-Staaten von mehr als einer Billionen Dollar zu wenig sei, die russische Armee mit einem Etat von irgendwie 80 Mrd. Dollar abzuschrecken? Andere Schreiber unterschlugen später die Verhandlungen von Istanbul, die im März und April 22 stattfanden. Schon damals ging es vor allem darum, die Ukraine „im Kampf zu halten“. Und dafür sind ja auch die Republikaner in den US bis heute sehr dankbar.
“Wahrnehmungsverzerrung“ als Begriff trifft es daher eigentlich nicht angesichts der systematischen Bearbeitung der Nachrichten zum Ukraine-Krieg durch Journalisten und Spin-Redakteure oder eben auch Politiker. Die Akteure wissen im Übrigen ganz genau, wie sie das „Terrain bearbeiten“ müssen. Mythen und Meinungen bilden das Betätigungsfeld; sie zu schaffen und zu konkre-tisieren, soll dann das „Zuhause“ für möglichst jeden Einzelnen werden. Und die Einteilung in Gut und Böse verschafft jene Glücksmomente für den Bürger, sobald er versteht, dass er auf der richtigen Seite Platz genommen hat. Mit dieser Grundüberzeugung kann die Regierung Kriegstüchtigkeit erreichen; niemand würde ansonsten nur einen Gedanken daran verschwenden, in den Krieg zu ziehen um am Ende jedes Opfer zu rechtfertigen. Ideal ist dabei, den Menschen „im Bann des Geschehens“ zu halten und das möglichst emotionalisiert – um so leichter ist er für (fast) jedes Ziel zu begeistern.
Und ich erschrecke täglich mehr, wie erfolgreich dieses Vorgehen ist oder besser wie erfolgreich sich die Polit- und Schreiber-Elite, beginnend vielleicht mit Josef Joffes Statements zur Kriegstauglichkeit der Deutschen Mitte der 10er Jahre, in die Sehschlitz-Perspektive und Bunkermentalität aus alter Zeit wieder verliebt hat. Aber sie werden ja nicht sterben, sterben werden die anderen, die Jüngeren, die, die man ins „Stahlgewitter“ schicken kann, weil das letzte ganz große Schlachten schon so lange vergessen ist. Und Frederik Pleitgen, der so gerne über die Unfähigkeit der Russen in diesem Krieg schwadroniert, weiß ja ganz sicher, dass es auch nur für die den Fleischwolf gibt. Und verloren haben die (Russen) ja auch schon, wie immer wieder auch von seiner Seite beteuert wird. Unter anderem dafür wird auch Pleitgen bezahlt.
Das Friedensprojekt Europa steht zwar nach wie vor auf dem Papier, und ich bin sicher, in den kommenden Sonntagsreden wird weiter daraus Honig gesaugt, ansonsten aber sind die „Brüssler Spitzen“ und auch unser politisches Personal buchstäblich für alles zu haben, nur nicht für Deeskalation.
Ich nehme an, Sie haben Recht , lieber Wolfgang Geuer, was in Russland das Innenverhältnis angeht, denn ich verfolge keine russischen Medien zu nationalen Themen - Was aber die Außenpolitik angeht, so ist mein Eindruck, dass Russland - mit dem Makel des Aggressors auf der Stirn - größtes Interesse daran hat, nicht zu lügen bzw. wenn, nicht dabei erwischt zu werden. Es kostet schlicht internationale Reputation, etwas, was weder die USA noch D verstehen.
Im übrigen scheinen mir alle Transformationgesellschaften noch recht sensibilisiert, wenn es darum geht, Worte mit Taten bzw. Realitäten zu vergleichen.
der Versuch der Einflussnahme beschränkt sich normalerweise nicht ausschließlich auf das Innenverhältnis, also auf die eigenen Bürger; allerdings stehen die Aufwendungen, die von westlicher Seite - insbesondere von den USA - betrieben werden, um den eigenen Standpunkt zu vertreten, in keinem Verhältnis zu den möglichen russischen Investitionen in dieser Frage. Die USA verfügen über eine ganze Industrie mit vielen tausend Beschäftigten, die in Thinktanks, Medieneinrichtungen, PR-Agenturen und Service-Instituten (u.a. NDI und IRI) zur Stärkung des amerikanischen Einflusses tätig sind. Frau Krone-Schmalz nannte diese Einrichtungen in ihrem gut recherchierten Buch "Eiszeit" ziemlich treffsicher "Revolutions-GmbH".
Die psychologische Kriegsführung im weitesten Sinn ist im Westen bereits ein mehr als 100 Jahre altes Betätigungs- und Erfahrungsfeld (siehe Creel-Commission 1917), als die USA zur EInflussnahme auf dir eigene Bevölkerung für den Eintritt in den 1. Weltkrieg zu "PsyOp-Methoden" griffen. Sie wurden damals nur nicht so benannt.
Finanziert vom British Foreign and Commenwealth Office, der Nato, dem US-Außenministerium und Facebook, - so berichtet Jonas Tögel - operiert seit 2018 die sogenannte "Integrity Initiative" zur "kulturellen Manipulation" der Bürger. Ziel scheint zu sein, "Russland so schlecht wie möglich in der Öffentlichkeit aussehen zu lassen". Das Vorgehen ist einfach: Gezielt werden Ereignisse in Russland durch Eingriffe in soziale Netzwerken und Medienverbünde verstärkt. Vor allem scheint Deutschland im Fokus zu stehen, um Verständnis für russische Positionen (z.B. Sicherheitsfragen im Zusammenhang mit der Nato-Osterweiterung usw.) entgegenzuwirken. (Kalenberg, "Damaging Ties: Why Germany is the Integritiy Initiative´s most Important Target", 24. August 2019)
Deshalb spreche ich hier nicht von "Wahrnehmungsverzerrung". Die gilt in der Psychologie und den Kognitionswissenschaften als individuelle Ursache des wahrnehmenden Subjekts bei der Betrachtung und Bewertung von Personen, Situationen und Objekten, natürlich abhängig von Vorerfahrung, Wissen, Bildung, Kultur, sozialer Zugehörigkeit und anderen Aspekten. Die Bearbeitung des Wahrnehmungsobjektes durch begleitende Informationen und Kontextmanipulation fällt dagegen definitiv in den Bereich der Soft Power Technik zur Beeinflussung, nennt sich meist Propaganda oder in diesem Fall auch "Cognitive Warfare". Letzteres trifft es bei unserem gemeinsamen Thema wohl am besten. Denn es geht um "Waffen der Einflussnahme" und letztere soll am besten erst gar nicht bemerkt werden...
Liebe Frau Erler, auch wenn ich im Moment wenig kommentiere, ganz generell, so lese ich doch Ihre Artikel immer sehr gerne. Deshalb meinen Dank für Ihre unermüdliche Arbeit.
"Man nehme nur die historische Bundestagsdebatte aus dem Jahr 2003, bei der es darum ging, ob Deutschland sich an einem Krieg gegen den Irak beteiligen solle. Die von der Regierung getragene Ablehnung war prinzipieller Natur. Ohne ein UN-Mandat wollte man sich nicht beteiligen. "
Das stimmt so nicht. Leider. Das war zwar die richtige Position, aber sie wurde einzig und allein von den Franzosen und de Villepin vertreten und artikuliert.
Die typisch deutsche, besserwisserische und voelkerrechtlich falsche, Position war:
Jay Bee, wir haben beide recht. Die Bundesregierung unterstützte eine Lösung im UN-Rahmen, aber hätte einer Resolution des Sicherheitsrates zur Kriegsermächtigung auch nicht zugestimmt, sondern wollte auf der Grundlage der im November 2002 beschlossenen UN-SR-Resolution weiter agieren, in der Überzeugung, dass mit Krieg das Problem nicht zu lösen wäre. Ich habe das nicht genau formuliert - also Danke. Denn D war damals im SR und hatte in der Debatte am 5.2. - als Powell log - den Vorsitz.
Zumal mir Ihre Zuschrift dann auch noch die Möglichkeit gibt, was ich eigentlich nicht vorhatte, darauf hinzuweisen, dass praktisch auch diese Haltung nicht grundsätzlich stimmte - Es gab schließlich den Fall Florian Pfaff, der sich aus Gewissensgründen weigerte, an einer Bundeswehrmission im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg teilzunehmen, einen Bericht , dass BND-Agenten in Bagdad tätig gewesen wären, und ein Lob der USA für die logistische Unterstützung durch die "Plattform Deutschland". Und schließlich, 2022, die Weigerung der Bundesregierung, den Irak-Krieg als völkerrechtswidrig zu bezeichnen.
Zitat aus dem Artikel: "2008, ein Jahr, das seit langem für die angebliche russische Aggression gegen Georgien reserviert ist, obwohl damals, 2008, Georgien als Erster schoss. 2009 wussten das noch viele."
Kurioserweise hat am 2. Mai im WDR beim "Echo des Tages" die Anmoderation gleich zweimal die Geschichte verdreht. Da hieß es wörtlich zuerst: "Wir wollen gleich auch über ein Land reden, dass von Russland mit einem Krieg überzogen wurde und im Ergebnis hat Russland Teile deses Landes besetzt. Klingt bekannt. Klar. Aber: Wir reden über Georgien 2008." und später noch mal (doppelt hält besser): "Georgien hat eine Vergangenheit mit dem größeren Nachbarn: 2008 hat Russland Georgien angegriffen. Einige sagen sogar, das war die Baupause für den Angriff auf die Ukraine. Bis heute sind Landesteile besetzt. Und was wir in letzterer Zeit sehen ist, trotz der EU-Perspektive, ein russlandfreundlicherer Kurs der Regierung und gegen den gibt es Massenproteste, die heftiger werden." Das wäre doch mal was für die "Faktenfüchse" des BR ;-), herauszufinden, von wem diese Desinformationskampagne ausgeht, denn es ist wohl unwahrscheinlich, dass sich ein Regionalsender wie der WDR solche Formulierungen selber ausdenkt.
Übrigens äußerte sich der georgische Präsident am 03.05.2024 verblüffend offen auf Twitter (immerhin hat er Humor, wie der letzte Satz zeigt) : "Spoke to [Counselor of the U.S. State Department] and expressed my sincere disappointment with the two revolution attempts of 2020-2023 supported by the former US Ambassador and those carried out through NGOs financed from external sources.
[...]
Besides, I explained to Mr. Chollet that false statements made by the officials of the US State Department about the transparency bill and street rallies remind us of similar false statements made by the former US Ambassador in 2020-2023, which served to the facilitation of violence from foreign funded actors and to the support of revolutionary processes back then.
In Bezug auf das in den hiesigen Medien zum Revolutionsgrund stilisierte Gesetz hätte er sich auch diplomatischer äußern können und erläutern, dass damit Georgien ein Gesetz aus den USA übernimmt (den "Foreign Agents Registration Act") und sich somit westlichen Standards annähert.
Sie schreiben: „Man nehme nur die historische Bundestagsdebatte aus dem Jahr 2003, bei der es darum ging, ob Deutschland sich an einem Krieg gegen den Irak beteiligen solle. Die von der Regierung [Schröder/Fischer] getragene Ablehnung war prinzipieller Natur.“
Wirklich?
Dieselbe Regierung war den USA in den NATO-Krieg gegen Serbien gefolgt und blieb im Afghanistan-Krieg an der Seite Washingtons. Eine prinzipielle Abneigung gegen Kriegseinsätze bestand also offenbar nicht. Vielmehr wusste die damalige rot-grüne Bundesregierung ganz einfach, dass der US-Kriegsvorwand – angebliche irakische Massenvernichtungsmittel – ein Fake war. Denn die Basisinformation dafür hatte ein irakischer BND-Informant mit dem Decknamen CURVEBALL geliefert. Diese Basisinformation war mit Zustimmung des Kanzleramtes (der Kanzleramtschef und Koordinator der Geheimdienste hieß Steinmeier) an die Amerikaner weitergegeben worden.
Danach kam der BND darauf, dass er mit CURVEBALL einem Hochstapler aufgesessen war. Ob dies den Amis ebenfalls mitgeteilt worden ist, dazu müsste man Steinmeier heute mal fragen.
Aber wie dem auch war – das „Kronzeugenwissen“ von CURVEBALL wurde zur Grundlage von US-Außenminister Vortag vor dem UN-Sicherheitsrat am 5.2.2003 über irakische Massenvernichtungsmittel, und die Bundesregierung wusste, dass der Mann Lügen auftischte. Das wusste auch Außenminister Joschka Fischer, der ohne mit der Wimper zu zucken, die Sicherheitsratssitzung leitete,. Aber drei Tage später, bei der Münchner Sicherheitskonferenz, ließ er sein Wissen zumindest kurz aufblitzen. Als dort auch US-Verteidigungsminister Rumsfield die Mär von den irakischen Massenvernichtungsmitteln zum Besten gab, rief Fischer ihm durch den Saal zu: „Excuse me, I'm not convinced."
Die CURVEBALL-Affäre recht treffend dargestellt hat 2021 der Film "Curveball. Wir machen die Wahrheit“.
schön, dass Sie dabei sind! Und Danke für Ihren Einspruch.
Zunächst: Mir ging es im Schwerpunkt nicht um die Gründe, die in D dazu führten, sich offiziell nicht am Irak-Krieg zu beteiligen, sondern darum, dass US-Lügen geglaubt wurde. Also um die Manipulation. Sie sagen, die Schröder-Regierung habe um das Fake gewusst - aber dafür gibt es keine durchschlagenden Belege.
Dreh und Angelpunkt der Auseinandersetzung um das Vorgehen gegenüber dem Irak war aus deutscher Sicht die Frage, ob ein Krieg gegen den Irak die Terrorismusbekämpfung erleichtern oder neue Risiken schaffen würde. Es gibt eine gute wissenschaftliche Arbeit, die die einzelnen Stadien der deutschen Meinungsbildung zusammenfasst, unter innen- und außenpolitischen Gesichtspunkten. (Die irakische Position fehlt auch in dieser Arbeit.)
Die Frage, ob der Irak nun Massenvernichtungswaffen hatte oder nicht bzw. Beziehungen zu Al Qaida, wie die USA behaupteten, waren in dem Fall untergeordnet, sonst hätte D nicht auf die Erfüllung der SR-Resolution vom November 2002 bestanden. „I am not convinced“ bezog sich nicht auf die US-Begründungen, sondern auf deren Schlussfolgerung, notfalls auch allein militärisch eingreifen zu wollen (müssen).
Das Bemerkenswerte aus meiner Sicht ist, dass in allen Debatten im Februar 2003, die öffentliche Position von Saddam Hussein KEINE Rolle spielte. Denn der hatte -zum ersten Mal seit vielen Jahren- am 3. Februar 2003 (noch vor der MSC + dem UN-SR) dem britischen Labour-Politiker Benn ein Interview gegeben.
In diesem Interview erklärte Saddam Hussein, er habe weder Massenvernichtungswaffen, noch sei der Irak ein sicherer Hafen für Al Qaida. NIEMAND hat zu diesem Zeitpunkt den Worten von Saddam geglaubt, oder sie ins Kalkül gezogen. Denn der war ja in der öffentlichen Darstellung längst zum „Schlächter von Bagdad“ geworden.
Später hat sich herausgestellt, dass auch die Annahme von Bush, Saddam hätte die Bush-Familie umbringen wollen, falsch war, so wie auch die Behauptung, Saddam habe den Befehl gegeben, eigene Landsleute (Kurden) mit Chemiewaffen umzubringen. Es war eine Entscheidung der Armee. Das enthüllte der CIA-Agent, der lange Saddam verhörte, (Debriefing Saddam) in seinem Buch. Die Regel lautete und lautet bis heute: Diktatoren hört man nicht zu, die lügen.
Es hörte auch niemand dem einstigen UN-Waffeninspektor im Irak, Scott Ritter zu, der sich sicher war, dass der Irak über keine Massenvernichtungswaffen mehr verfügte. Der warnte seit 1998, schrieb 1999 ein Buch (Endgame), drehte 2000 einen Film – alles vergeblich, er kam nicht gegen die Propaganda an, behielt aber seine persönliche Integrität.
In diesem Kontext erinnere ich gerne an die Auseinandersetzung zwischen dem damaligen Senator Joe Biden und Scott Ritter 1998. Wie hat Biden den damals fertiggemacht, wie hämisch und dabei schien es doch, als hielte Biden die Argumente von Ritter sogar für überzeugend. Aber die Schlussfolgerung (Krieg oder nicht), so belehrte ihn Biden, stand Ritter nicht zu (über Deiner Gehaltsklasse).
Ich rate, sich den Clip anzuschauen und sich dann beispielsweise zu fragen, wen der beiden man gerne zu einer persönlichen Feier einladen würde, damals wie heute. Immerhin ist Biden inzwischen allseits akzeptierte „Anführer der freien Welt“, also im Grunde der potentielle Stargast schlechthin.
So, wie damals, ist es geblieben: auf die zum „Außenseiter“ gestempelten Meinungen oder auf die „böser Diktatoren“ (sprich Lügner), soll man nicht hören, darf man nicht hören. Man höre lieber auf Biden&Co. und verfahre im übrigen nach dem Motto: Schuster bleib bei deinen Leisten.
Was „Curveball“ betrifft: Der BND hat laut Welt (unter irreführender Überschrift und mit der äußerst zweifelhaften Schlussfolgerung, dass der ganze Krieg ja sein Gutes hatte, weil nun Saddam nicht mehr da ist), - zwar die USA unterichtet, angeblich die USA mehrfach auch gewarnt, aber auch der damalige BND-Präsident GLAUBTE an die irakischen Massenvernichtungswaffen. Wie hätten wir dagestanden, hätte es sie gegeben…? Das zeigt nur, dass auch der BND in der beschriebenen „Echokammer“ des Glaubens steckte. https://www.welt.de/politik/specials/911/article13568908/Wie-ein-BND-Informant-den-Irak-Krieg-ausloeste.html
Idealerweise sollten wenigstens Geheimdienste zu rationaler Analyse fähig sein, Fakten folgen und Schlussfolgerungen ziehen, egal wohin sie führen. Dazu sollten sie taugen. Aber so funktioniert es auch nicht.
So bleiben - und darum ging es mir - die damaligen Fragen hochaktuell: Glauben ist nicht Wissen, aber Glauben lässt sich propagandistisch erzeugen. Es endet in der Regel auch gleich: in Katastrophen… Und das ist nun mal, nach Einstein, die Definition von Wahnsinn – man macht immer das Gleiche und glaubt, diesmal wäre das Resultat ein anderes.
Danke für die fundierte Debatte über dieses Thema. So lernt man etwas dazu. Z.B. erklärt das Video, in dem Joe Biden Scott Rotter zusammenfaltet, wieso Biden als "loose canon" bezeichnet wurde.
"... behielt aber seine persönliche Integrität." Die wurde übrigens nach dieser Geschichte versucht zu zerstören, indem er mittels Kompromat zu Gefängnis verurteilt wurde. Ritters Wikipedia-Eintrag (wer auch immer den pflegt) breitet das genüsslich aus. Bemerkenswert ist, dass das Kompromat nicht etwa in der Datensammlung der NSA gesucht wurde, sondern von verdeckten FBI-Ermittlern gezielt fabriziert wurde. Das wird eine deutliche Warnung an potentielle Nachahmer sein, sich nicht zu Themen "über ihrer Gehaltsklasse" zu äußern.
Frau Erler, erst kürzlich entdeckete ich ihre Publikationen. Fast atemlos bin ich den heutigen Text durchgegangen, die Links werde ich später verfolgen. Man kann all diesen Irrsinn nur aushalten, wenn man eine humoristische Seite auch dort zu erkennen vermag, wo eigentlich Tränen der Verzweiflung angebracht wären. Danke!
Wieder einmal danke für die gut recherchierte Zusammenstellung. Wesentlich für die Wirksamkeit der "strategischen Kommunikation" (neu-Englisch für "Propaganda") ist deren willige Verbreitung durch unkritische Multiplikatoren in den Massenmedien. Ich hatte als Hauptgrund dafür bisher immer die Informations-Asymmetrie gehalten: Die bloße Widergabe einer "offiziellen" Quelle ist mit keinem Aufwand verbunden und wird keine "FLAK" (im Sinne des Propagandamodells von Herman & Chomsky) auslösen, während ihre Widerlegung aufwändig und wasserdicht recherchiert werden muss, wozu keine Ressourcen bereit gestellt werden.
Aber jetzt habe ich mir den von DIEM25 erstellten Zusammenschnitt der Bundespressekonferenz zum Verbot des Palästina-Kongresses angesehen und bin geschockt: Bei allen Journalisten, die die Regierungsentscheidung kritisch hinterfragen, ist eine panische Furcht spürbar und die Journalisten sind dermaßen eingeschüchtert, dass Sie es kaum schaffen, ihre Fragen zu formulieren (die Videoüberschrift von DIEM25 "Watch journalists confront German gouvernment" trifft es überhaupt nicht): https://youtu.be/vHYGTPisW0k
Auf den offiziellen Kriegsgrund der angeblichen Massenvernichtungwaffen im Irak geht übrigens auch eine Publikation von einer NATO-Konferenz 2015 in Essen ein. Dort wird nicht etwa kritisiert, dass das gelogen war, sondern dass es ein "strategic mistake" war, diesen Grund zu wählen (p. 44). Es wäre besser gewesen, auf Gräuelpropaganda zu setzen, die sich im Jugoslawienkrieg bewährt habe. Wörtliche Empfehlung aus dem Dokument: "In all future conflicts NATO should deploy sizable media teams to record and publicize the human rights abuses of the enemy and should bring evidence before the public immediately and continually. We should not expect the media to cover such stories in depth and to provide the analysis." https://www.japcc.org/wp-content/uploads/JAPCC_Conf_Read_Ahead_2015_web.pdf
Und hier ist ein kurzes Video (< 2min), das Begründungen angeblich gerechter Kriege aus 100 Jahren zusammenträgt und mit Originalzitaten unterlegt: https://youtu.be/C4o2asZCITw
Vielen dank, lieber Krysztof, dieses Nato-Dokument ist tatsächlich eine Goldgrube an strategischer Desinformation - allein schon die Behauptung, dass die Nato qua Natur (leider) immer transparent sein und die Wahrheit sagen MUSS... oder dass öffentliche Meinungen, die nicht mit dem Nato-Narrativ übereinstimmen, dann zum Anschlagsziel der Russen werden...Großartig!
Danke für die ausführlichen Ergebnisse Ihrer Recherchen. Sie sind wie immer erhellend und tragen bei mir zu mehr Verständnis bei. Danke auch dafür.
Danke!, liebe Petra, dafür, dass Du unsere Beobachtungen wieder mit Fakten unterfütterst!
Liebe Petra Erler,
vielen Dank für ihre Analyse und die zahlreich dokumentierten Hinweise zur Praxis der Desinformation im Westen. Natürlich finden wir diese Prozesse in gleicher Weise in Russland und anderswo. Regierungen halten ihre Bürger gerne bei der Stange und im Griff.
Kurz zusammengefasst lässt sich feststellen, dass die Erzählung oder das, was der Bürger verstehen soll, den politischen und anderen Zielen der Hauptakteure angepasst wird. Selektion von Nachrichten ist dafür ein geeignetes Mittel unter vielen anderen. Wie skurril es dabei zugehen kann, hat die Konrad Adenauer Stiftung in Ihren Publikationen schon 2022 kurz nach Kriegsbeginn in der Ukraine zeigen dürfen. „Wir haben die Lehre von Schmidt und Kohl vergessen, dass Verhandlungen immer den Vorrang haben, aber man militärisch so stark sein muss, dass Nichtverhandeln für die andere Seite keine Option sein kann.“ So meinte beispielsweise Frau Kramp-Karrenbauer, die ehemalige Verteidigungsministerin, erklären zu müssen. Sie vergaß zu erwähnen, dass die russische Führung noch im Dezember 21 versuchte, einen konkreten Verhandlungsvorschlag mit der Nato und den USA zu diskutieren. Oder wollte „KK“ dem geneigten Publikum weismachen, dass ein Militärbudget der Nato-Staaten von mehr als einer Billionen Dollar zu wenig sei, die russische Armee mit einem Etat von irgendwie 80 Mrd. Dollar abzuschrecken? Andere Schreiber unterschlugen später die Verhandlungen von Istanbul, die im März und April 22 stattfanden. Schon damals ging es vor allem darum, die Ukraine „im Kampf zu halten“. Und dafür sind ja auch die Republikaner in den US bis heute sehr dankbar.
“Wahrnehmungsverzerrung“ als Begriff trifft es daher eigentlich nicht angesichts der systematischen Bearbeitung der Nachrichten zum Ukraine-Krieg durch Journalisten und Spin-Redakteure oder eben auch Politiker. Die Akteure wissen im Übrigen ganz genau, wie sie das „Terrain bearbeiten“ müssen. Mythen und Meinungen bilden das Betätigungsfeld; sie zu schaffen und zu konkre-tisieren, soll dann das „Zuhause“ für möglichst jeden Einzelnen werden. Und die Einteilung in Gut und Böse verschafft jene Glücksmomente für den Bürger, sobald er versteht, dass er auf der richtigen Seite Platz genommen hat. Mit dieser Grundüberzeugung kann die Regierung Kriegstüchtigkeit erreichen; niemand würde ansonsten nur einen Gedanken daran verschwenden, in den Krieg zu ziehen um am Ende jedes Opfer zu rechtfertigen. Ideal ist dabei, den Menschen „im Bann des Geschehens“ zu halten und das möglichst emotionalisiert – um so leichter ist er für (fast) jedes Ziel zu begeistern.
Und ich erschrecke täglich mehr, wie erfolgreich dieses Vorgehen ist oder besser wie erfolgreich sich die Polit- und Schreiber-Elite, beginnend vielleicht mit Josef Joffes Statements zur Kriegstauglichkeit der Deutschen Mitte der 10er Jahre, in die Sehschlitz-Perspektive und Bunkermentalität aus alter Zeit wieder verliebt hat. Aber sie werden ja nicht sterben, sterben werden die anderen, die Jüngeren, die, die man ins „Stahlgewitter“ schicken kann, weil das letzte ganz große Schlachten schon so lange vergessen ist. Und Frederik Pleitgen, der so gerne über die Unfähigkeit der Russen in diesem Krieg schwadroniert, weiß ja ganz sicher, dass es auch nur für die den Fleischwolf gibt. Und verloren haben die (Russen) ja auch schon, wie immer wieder auch von seiner Seite beteuert wird. Unter anderem dafür wird auch Pleitgen bezahlt.
Das Friedensprojekt Europa steht zwar nach wie vor auf dem Papier, und ich bin sicher, in den kommenden Sonntagsreden wird weiter daraus Honig gesaugt, ansonsten aber sind die „Brüssler Spitzen“ und auch unser politisches Personal buchstäblich für alles zu haben, nur nicht für Deeskalation.
Ich nehme an, Sie haben Recht , lieber Wolfgang Geuer, was in Russland das Innenverhältnis angeht, denn ich verfolge keine russischen Medien zu nationalen Themen - Was aber die Außenpolitik angeht, so ist mein Eindruck, dass Russland - mit dem Makel des Aggressors auf der Stirn - größtes Interesse daran hat, nicht zu lügen bzw. wenn, nicht dabei erwischt zu werden. Es kostet schlicht internationale Reputation, etwas, was weder die USA noch D verstehen.
Im übrigen scheinen mir alle Transformationgesellschaften noch recht sensibilisiert, wenn es darum geht, Worte mit Taten bzw. Realitäten zu vergleichen.
Liebe Frau Erler,
der Versuch der Einflussnahme beschränkt sich normalerweise nicht ausschließlich auf das Innenverhältnis, also auf die eigenen Bürger; allerdings stehen die Aufwendungen, die von westlicher Seite - insbesondere von den USA - betrieben werden, um den eigenen Standpunkt zu vertreten, in keinem Verhältnis zu den möglichen russischen Investitionen in dieser Frage. Die USA verfügen über eine ganze Industrie mit vielen tausend Beschäftigten, die in Thinktanks, Medieneinrichtungen, PR-Agenturen und Service-Instituten (u.a. NDI und IRI) zur Stärkung des amerikanischen Einflusses tätig sind. Frau Krone-Schmalz nannte diese Einrichtungen in ihrem gut recherchierten Buch "Eiszeit" ziemlich treffsicher "Revolutions-GmbH".
Die psychologische Kriegsführung im weitesten Sinn ist im Westen bereits ein mehr als 100 Jahre altes Betätigungs- und Erfahrungsfeld (siehe Creel-Commission 1917), als die USA zur EInflussnahme auf dir eigene Bevölkerung für den Eintritt in den 1. Weltkrieg zu "PsyOp-Methoden" griffen. Sie wurden damals nur nicht so benannt.
Finanziert vom British Foreign and Commenwealth Office, der Nato, dem US-Außenministerium und Facebook, - so berichtet Jonas Tögel - operiert seit 2018 die sogenannte "Integrity Initiative" zur "kulturellen Manipulation" der Bürger. Ziel scheint zu sein, "Russland so schlecht wie möglich in der Öffentlichkeit aussehen zu lassen". Das Vorgehen ist einfach: Gezielt werden Ereignisse in Russland durch Eingriffe in soziale Netzwerken und Medienverbünde verstärkt. Vor allem scheint Deutschland im Fokus zu stehen, um Verständnis für russische Positionen (z.B. Sicherheitsfragen im Zusammenhang mit der Nato-Osterweiterung usw.) entgegenzuwirken. (Kalenberg, "Damaging Ties: Why Germany is the Integritiy Initiative´s most Important Target", 24. August 2019)
Deshalb spreche ich hier nicht von "Wahrnehmungsverzerrung". Die gilt in der Psychologie und den Kognitionswissenschaften als individuelle Ursache des wahrnehmenden Subjekts bei der Betrachtung und Bewertung von Personen, Situationen und Objekten, natürlich abhängig von Vorerfahrung, Wissen, Bildung, Kultur, sozialer Zugehörigkeit und anderen Aspekten. Die Bearbeitung des Wahrnehmungsobjektes durch begleitende Informationen und Kontextmanipulation fällt dagegen definitiv in den Bereich der Soft Power Technik zur Beeinflussung, nennt sich meist Propaganda oder in diesem Fall auch "Cognitive Warfare". Letzteres trifft es bei unserem gemeinsamen Thema wohl am besten. Denn es geht um "Waffen der Einflussnahme" und letztere soll am besten erst gar nicht bemerkt werden...
Liebe Frau Erler, auch wenn ich im Moment wenig kommentiere, ganz generell, so lese ich doch Ihre Artikel immer sehr gerne. Deshalb meinen Dank für Ihre unermüdliche Arbeit.
Liebe Columba, wie schön, dass Sie sich melden. Ich glaube, ich verstehe es und denke an Sie!
"Man nehme nur die historische Bundestagsdebatte aus dem Jahr 2003, bei der es darum ging, ob Deutschland sich an einem Krieg gegen den Irak beteiligen solle. Die von der Regierung getragene Ablehnung war prinzipieller Natur. Ohne ein UN-Mandat wollte man sich nicht beteiligen. "
Das stimmt so nicht. Leider. Das war zwar die richtige Position, aber sie wurde einzig und allein von den Franzosen und de Villepin vertreten und artikuliert.
Die typisch deutsche, besserwisserische und voelkerrechtlich falsche, Position war:
keine Beteiligung, selbst bei UN Mandat.
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/spd-zu-irak-krieg-keine-beteiligung-selbst-bei-uno-mandat-a-208283.html
Jay Bee, wir haben beide recht. Die Bundesregierung unterstützte eine Lösung im UN-Rahmen, aber hätte einer Resolution des Sicherheitsrates zur Kriegsermächtigung auch nicht zugestimmt, sondern wollte auf der Grundlage der im November 2002 beschlossenen UN-SR-Resolution weiter agieren, in der Überzeugung, dass mit Krieg das Problem nicht zu lösen wäre. Ich habe das nicht genau formuliert - also Danke. Denn D war damals im SR und hatte in der Debatte am 5.2. - als Powell log - den Vorsitz.
Zumal mir Ihre Zuschrift dann auch noch die Möglichkeit gibt, was ich eigentlich nicht vorhatte, darauf hinzuweisen, dass praktisch auch diese Haltung nicht grundsätzlich stimmte - Es gab schließlich den Fall Florian Pfaff, der sich aus Gewissensgründen weigerte, an einer Bundeswehrmission im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg teilzunehmen, einen Bericht , dass BND-Agenten in Bagdad tätig gewesen wären, und ein Lob der USA für die logistische Unterstützung durch die "Plattform Deutschland". Und schließlich, 2022, die Weigerung der Bundesregierung, den Irak-Krieg als völkerrechtswidrig zu bezeichnen.
Zitat aus dem Artikel: "2008, ein Jahr, das seit langem für die angebliche russische Aggression gegen Georgien reserviert ist, obwohl damals, 2008, Georgien als Erster schoss. 2009 wussten das noch viele."
Kurioserweise hat am 2. Mai im WDR beim "Echo des Tages" die Anmoderation gleich zweimal die Geschichte verdreht. Da hieß es wörtlich zuerst: "Wir wollen gleich auch über ein Land reden, dass von Russland mit einem Krieg überzogen wurde und im Ergebnis hat Russland Teile deses Landes besetzt. Klingt bekannt. Klar. Aber: Wir reden über Georgien 2008." und später noch mal (doppelt hält besser): "Georgien hat eine Vergangenheit mit dem größeren Nachbarn: 2008 hat Russland Georgien angegriffen. Einige sagen sogar, das war die Baupause für den Angriff auf die Ukraine. Bis heute sind Landesteile besetzt. Und was wir in letzterer Zeit sehen ist, trotz der EU-Perspektive, ein russlandfreundlicherer Kurs der Regierung und gegen den gibt es Massenproteste, die heftiger werden." Das wäre doch mal was für die "Faktenfüchse" des BR ;-), herauszufinden, von wem diese Desinformationskampagne ausgeht, denn es ist wohl unwahrscheinlich, dass sich ein Regionalsender wie der WDR solche Formulierungen selber ausdenkt.
Übrigens äußerte sich der georgische Präsident am 03.05.2024 verblüffend offen auf Twitter (immerhin hat er Humor, wie der letzte Satz zeigt) : "Spoke to [Counselor of the U.S. State Department] and expressed my sincere disappointment with the two revolution attempts of 2020-2023 supported by the former US Ambassador and those carried out through NGOs financed from external sources.
[...]
Besides, I explained to Mr. Chollet that false statements made by the officials of the US State Department about the transparency bill and street rallies remind us of similar false statements made by the former US Ambassador in 2020-2023, which served to the facilitation of violence from foreign funded actors and to the support of revolutionary processes back then.
[...]
I have not expressed my concerns with Mr. Chollet about a brutal crackdown of the students' protest rally in New York City.." (Quelle: https://twitter.com/PM_Kobakhidze/status/1786308052515168630)
In Bezug auf das in den hiesigen Medien zum Revolutionsgrund stilisierte Gesetz hätte er sich auch diplomatischer äußern können und erläutern, dass damit Georgien ein Gesetz aus den USA übernimmt (den "Foreign Agents Registration Act") und sich somit westlichen Standards annähert.
Liebe Frau Erler,
Sie schreiben: „Man nehme nur die historische Bundestagsdebatte aus dem Jahr 2003, bei der es darum ging, ob Deutschland sich an einem Krieg gegen den Irak beteiligen solle. Die von der Regierung [Schröder/Fischer] getragene Ablehnung war prinzipieller Natur.“
Wirklich?
Dieselbe Regierung war den USA in den NATO-Krieg gegen Serbien gefolgt und blieb im Afghanistan-Krieg an der Seite Washingtons. Eine prinzipielle Abneigung gegen Kriegseinsätze bestand also offenbar nicht. Vielmehr wusste die damalige rot-grüne Bundesregierung ganz einfach, dass der US-Kriegsvorwand – angebliche irakische Massenvernichtungsmittel – ein Fake war. Denn die Basisinformation dafür hatte ein irakischer BND-Informant mit dem Decknamen CURVEBALL geliefert. Diese Basisinformation war mit Zustimmung des Kanzleramtes (der Kanzleramtschef und Koordinator der Geheimdienste hieß Steinmeier) an die Amerikaner weitergegeben worden.
Danach kam der BND darauf, dass er mit CURVEBALL einem Hochstapler aufgesessen war. Ob dies den Amis ebenfalls mitgeteilt worden ist, dazu müsste man Steinmeier heute mal fragen.
Aber wie dem auch war – das „Kronzeugenwissen“ von CURVEBALL wurde zur Grundlage von US-Außenminister Vortag vor dem UN-Sicherheitsrat am 5.2.2003 über irakische Massenvernichtungsmittel, und die Bundesregierung wusste, dass der Mann Lügen auftischte. Das wusste auch Außenminister Joschka Fischer, der ohne mit der Wimper zu zucken, die Sicherheitsratssitzung leitete,. Aber drei Tage später, bei der Münchner Sicherheitskonferenz, ließ er sein Wissen zumindest kurz aufblitzen. Als dort auch US-Verteidigungsminister Rumsfield die Mär von den irakischen Massenvernichtungsmitteln zum Besten gab, rief Fischer ihm durch den Saal zu: „Excuse me, I'm not convinced."
Die CURVEBALL-Affäre recht treffend dargestellt hat 2021 der Film "Curveball. Wir machen die Wahrheit“.
Mit besten Grüßen,
Wolfgang Schwarz
Lieber Herr Schwarz,
schön, dass Sie dabei sind! Und Danke für Ihren Einspruch.
Zunächst: Mir ging es im Schwerpunkt nicht um die Gründe, die in D dazu führten, sich offiziell nicht am Irak-Krieg zu beteiligen, sondern darum, dass US-Lügen geglaubt wurde. Also um die Manipulation. Sie sagen, die Schröder-Regierung habe um das Fake gewusst - aber dafür gibt es keine durchschlagenden Belege.
Dreh und Angelpunkt der Auseinandersetzung um das Vorgehen gegenüber dem Irak war aus deutscher Sicht die Frage, ob ein Krieg gegen den Irak die Terrorismusbekämpfung erleichtern oder neue Risiken schaffen würde. Es gibt eine gute wissenschaftliche Arbeit, die die einzelnen Stadien der deutschen Meinungsbildung zusammenfasst, unter innen- und außenpolitischen Gesichtspunkten. (Die irakische Position fehlt auch in dieser Arbeit.)
https://www.fb03.uni-frankfurt.de/44727590
Die Frage, ob der Irak nun Massenvernichtungswaffen hatte oder nicht bzw. Beziehungen zu Al Qaida, wie die USA behaupteten, waren in dem Fall untergeordnet, sonst hätte D nicht auf die Erfüllung der SR-Resolution vom November 2002 bestanden. „I am not convinced“ bezog sich nicht auf die US-Begründungen, sondern auf deren Schlussfolgerung, notfalls auch allein militärisch eingreifen zu wollen (müssen).
Das Bemerkenswerte aus meiner Sicht ist, dass in allen Debatten im Februar 2003, die öffentliche Position von Saddam Hussein KEINE Rolle spielte. Denn der hatte -zum ersten Mal seit vielen Jahren- am 3. Februar 2003 (noch vor der MSC + dem UN-SR) dem britischen Labour-Politiker Benn ein Interview gegeben.
In diesem Interview erklärte Saddam Hussein, er habe weder Massenvernichtungswaffen, noch sei der Irak ein sicherer Hafen für Al Qaida. NIEMAND hat zu diesem Zeitpunkt den Worten von Saddam geglaubt, oder sie ins Kalkül gezogen. Denn der war ja in der öffentlichen Darstellung längst zum „Schlächter von Bagdad“ geworden.
https://www.srf.ch/play/tv/10-vor-10/video/interview-mit-saddam-hussein?urn=urn:srf:video:a8b69b38-3886-42b4-a91c-e2a998da1966
Später hat sich herausgestellt, dass auch die Annahme von Bush, Saddam hätte die Bush-Familie umbringen wollen, falsch war, so wie auch die Behauptung, Saddam habe den Befehl gegeben, eigene Landsleute (Kurden) mit Chemiewaffen umzubringen. Es war eine Entscheidung der Armee. Das enthüllte der CIA-Agent, der lange Saddam verhörte, (Debriefing Saddam) in seinem Buch. Die Regel lautete und lautet bis heute: Diktatoren hört man nicht zu, die lügen.
Es hörte auch niemand dem einstigen UN-Waffeninspektor im Irak, Scott Ritter zu, der sich sicher war, dass der Irak über keine Massenvernichtungswaffen mehr verfügte. Der warnte seit 1998, schrieb 1999 ein Buch (Endgame), drehte 2000 einen Film – alles vergeblich, er kam nicht gegen die Propaganda an, behielt aber seine persönliche Integrität.
In diesem Kontext erinnere ich gerne an die Auseinandersetzung zwischen dem damaligen Senator Joe Biden und Scott Ritter 1998. Wie hat Biden den damals fertiggemacht, wie hämisch und dabei schien es doch, als hielte Biden die Argumente von Ritter sogar für überzeugend. Aber die Schlussfolgerung (Krieg oder nicht), so belehrte ihn Biden, stand Ritter nicht zu (über Deiner Gehaltsklasse).
https://www.c-span.org/video/?c4842887/user-clip-1998-biden-chastises-weapons-inspector-ritter
Ich rate, sich den Clip anzuschauen und sich dann beispielsweise zu fragen, wen der beiden man gerne zu einer persönlichen Feier einladen würde, damals wie heute. Immerhin ist Biden inzwischen allseits akzeptierte „Anführer der freien Welt“, also im Grunde der potentielle Stargast schlechthin.
So, wie damals, ist es geblieben: auf die zum „Außenseiter“ gestempelten Meinungen oder auf die „böser Diktatoren“ (sprich Lügner), soll man nicht hören, darf man nicht hören. Man höre lieber auf Biden&Co. und verfahre im übrigen nach dem Motto: Schuster bleib bei deinen Leisten.
Was „Curveball“ betrifft: Der BND hat laut Welt (unter irreführender Überschrift und mit der äußerst zweifelhaften Schlussfolgerung, dass der ganze Krieg ja sein Gutes hatte, weil nun Saddam nicht mehr da ist), - zwar die USA unterichtet, angeblich die USA mehrfach auch gewarnt, aber auch der damalige BND-Präsident GLAUBTE an die irakischen Massenvernichtungswaffen. Wie hätten wir dagestanden, hätte es sie gegeben…? Das zeigt nur, dass auch der BND in der beschriebenen „Echokammer“ des Glaubens steckte. https://www.welt.de/politik/specials/911/article13568908/Wie-ein-BND-Informant-den-Irak-Krieg-ausloeste.html
Idealerweise sollten wenigstens Geheimdienste zu rationaler Analyse fähig sein, Fakten folgen und Schlussfolgerungen ziehen, egal wohin sie führen. Dazu sollten sie taugen. Aber so funktioniert es auch nicht.
So bleiben - und darum ging es mir - die damaligen Fragen hochaktuell: Glauben ist nicht Wissen, aber Glauben lässt sich propagandistisch erzeugen. Es endet in der Regel auch gleich: in Katastrophen… Und das ist nun mal, nach Einstein, die Definition von Wahnsinn – man macht immer das Gleiche und glaubt, diesmal wäre das Resultat ein anderes.
Danke für die fundierte Debatte über dieses Thema. So lernt man etwas dazu. Z.B. erklärt das Video, in dem Joe Biden Scott Rotter zusammenfaltet, wieso Biden als "loose canon" bezeichnet wurde.
"... behielt aber seine persönliche Integrität." Die wurde übrigens nach dieser Geschichte versucht zu zerstören, indem er mittels Kompromat zu Gefängnis verurteilt wurde. Ritters Wikipedia-Eintrag (wer auch immer den pflegt) breitet das genüsslich aus. Bemerkenswert ist, dass das Kompromat nicht etwa in der Datensammlung der NSA gesucht wurde, sondern von verdeckten FBI-Ermittlern gezielt fabriziert wurde. Das wird eine deutliche Warnung an potentielle Nachahmer sein, sich nicht zu Themen "über ihrer Gehaltsklasse" zu äußern.