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Karotz's avatar

Zwei Tage nach dem Jubiläum ist es Ihnen gelungen, das neue Leuchtturmwärterin-Jahr mit einem absolut glänzenden Artikel einzuleiten. Tausend Dank für diesen so wichtigen und nachdenkenswerten Beitrag! Der mir (unter anderem) unter der Zwischenüberschrift „Wir müssen Zuhören lernen“ zeigt, was sein könnte, wenn... ja, wenn die Geschicke unseres Landes und unseres Kontinents in den Händen kluger, besonnener, offener, friedliebender, um Konfliktbewältigung und Sicherheit bemühter Menschen läge statt in denen zweifelhafter katzbuckelnder Ideologen und Karrieristen.

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Petra Erler's avatar

Danke, lieber Karotz, ja der Teil war mir abschließend der Wichtigste.

Ich erinnere mich an 2001. Damals stand die EU gegen die USA in Sachen Internationaler Strafgerichtshof. So wie heute, lehnten die USA ihn ab und versuchten, künftige EU-Mitgliedstaaten davon abzuhalten, ihn zu unterstützen. Es war eine harte Auseinandersetzung, die die EU damals unter Prodi ausgefochten hat.

Aber man kann sich nur mit dem auseinandersetzen, was man weiß.

Die allermeisten der unter Druck geratenenen Staaten schwiegen. Aber nicht alle. Ein Land begann zu reden. Im Vertrauen auf die EU. Heute würde dieses Land nicht mehr den Mund aufmachen.

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Kostas Kipuros's avatar

Liebe Petra Erler, danke für die Decodierung des US-Sprechs, mit dem Sachverhalte, die wenig mit Moral und Ethik, dafür aber umso mehr mit knallharten Interessen zu tun haben, so offensichtlich verschwurbelt werden. Eigentlich gibt es Ihrem Beitrag - wieder einmal - nichts hinzu zu fügen. Eigentlich. Denn uneigentlich bleibt eine unbeantwortete, ja vielleicht sogar unbeantwortbare Frage: Wenn Tatsachen, Fakten und Zusammenhänge so evident sind - wie kann es sein, dass die gesamte Kaste von Politik und Medien sich sehenden Auges in den Schwitzkasten des großen „Bruders“ begibt? (In der DDR wurde häufig über das abhängige Verhältnis zu Moskau gelästert: Was ist uns die Sowjetunion - Bruder oder Freund? Antwort: Bruder, weil, einen Freund kann man sich aussuchen, den Bruder nicht.) Nun, die Bundesregierung spricht im Gegensatz zur DDR-Führung bezüglich zur UdSSR stets von einem Freund, wenn es um die USA geht (außer es passiert ein Ausrutscher wie Trump), verhält sich aber, als ob die USA ein gottgegebener „Bruder“ wären, zu dessen Wünschen es selbstverständlich keine Alternative gibt.

Sie bemerken richtig, dass die Betonung auf der Unverzichtbarkeit der „einzigartigen Nation“ notwendigerweise die Verzichtbarkeit anderer Nationen impliziert, weil ihnen das Merkmal der Einzigartigkeit fehlt. Das ist Zynismus, der sich selbst enttarnt. Das Paradoxe: Soweit die Verzichtbarkeit widerständige Nationen (wie etwa Chile, Kuba, Iran oder Russland und China) betrifft, die sich dem US-Diktat widersetzen, ergibt der US-Zynismus aus der Sicht der USA Sinn: Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns, ist ergo verzichtbar. Was sich aber nicht erklären lässt, jedenfalls nicht rational, ist, dass formal souveräne Regierungen von sich aus de facto die Verzichtbarkeit ihrer Nation, Interessen und Belange erklären (weil, das Große Ganze, was immer das sein soll, zählt mehr) und gleichzeitig Führungsanspruch in Europa, ja sogar weltweit beanspruchen. Größenwahn meets Komplex der Minderwertigkeit. Das ist eine Kombination, aus der keine stringente Politik entstehen kann. Gibt es Hoffnung? Vielleicht! Abba Eban, einstiger Außenminister Israels, wird der Satz zugeschrieben, dass Nationen irgendwann das Richtige tun, nachdem sie alles Falsche versucht haben. Wenn es so ist, dann haben wir allerdings kaum noch Zeit.

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jd_73's avatar

Naja, was soll man sagen? Mit dem politischen Personal, dass Deutschland im Moment regiert, ist ein selbstbewusstes Auftreten gegenüber den USA sehr unwahrscheinlich. Und in der Opposition sieht es nicht besser aus. Die USA führen Europa ja immer wieder vor, dass es für sie nur ein Vasall ist. "Ich führe, du hast zu folgen. Wie das läuft, wenn man nicht folgt hat Werner Weidenfeld (ehem. Amerikakoordinator der Bundesregierung) schon 2013 erklärt: https://www.youtube.com/watch?v=bDmSg1MZ_co.

Europa als Geisel der USA empfindet auch noch Sympathie für das Verhalten der Land der Freiheit, oder zumindest Ausflüchte dafür, warum es so sein muss, wie es ist - das kann man als Stockholm-Syndrom bezeichnen. Ich bin gespannt, wann die europäischen Sterne in die US-Flagge integriert werden als neue Bundesstaaten der USA. Bis dahin singen wir dann mit Rammstein mit: "We all living in Amerika! Amerika! Ist wunderbar!" (https://www.youtube.com/watch?v=Rr8ljRgcJNM)

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Petra Erler's avatar

Mag sein, aber weil alles so war, muss es nicht so bleiben.

Wir haben eine gewisse graue Masse zwischen den Ohren: Hört man, was man hören will?

Till hat auch das gesungen (nur Commerz, kein Ahnung?)

https://www.youtube.com/watch?v=sjjlCBkKSWk

(Es ist die wahre Geschichte eines sowjetischen Fliegers, der den Nazis entkommen konnte)

Er hat es gut gemacht, damals. Als man noch wusste, dass es eine Geschichte ist, die auch unsere Geschichte ist.

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jd_73's avatar

Der Song von Rammstein ist auch ironisch gemeint, schließlich singt Till ja auch "Coca Cola, sometimes war" - in dem Song es vor allem um den amerikanischen Kulturimperialismus. Es wird auch bestimmt nicht alles so bleiben, wie es ist. Vielleicht werden die unsere selbsternannte (westlichen) Eliten noch ein wenig länger die Menschheit verhöhnen und die Logik vergewaltigen. Aber der Widerstand nimmt zu: Etwa 2/3 der Welt folgt der "Führungsmacht" USA nicht mehr und etwa die Hälfte der Deutschen plädiert für eine diplomatische Lösung des Ukraine-Konflikts. Zudem ist ein wachsender Anteil der us-amerikanischen Bevölkerung ebenfalls gegen das Engagement ihrer Regierung in der Ukraine. Es benutzen also recht viele Menschen die graue Masse zwischen den Ohren. Das Problem, was ich sehe ist, dass unser Führungspersonal ziemlich lernresistent ist und wohl erst abgelöst werden muss, bevor wir als Europa bzw. "kollektiver Westen" friedlich weiter kommen. Und das könnte ein längerer (und evtl. hässlicher) Prozess werden...

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Petra Erler's avatar

Ja, aber Sie boten so eine schöne Vorlage, wenigstens in der Diskussion wieder mal an deutsche Geschichte zu erinnern - und ich finde auch das Lied so schön.

Im übrigen: Auf keinen Fall möchte ich einen "hässlichen" Prozess...Bitte einen guten, schönen, astrein demokratischen!

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Angie's avatar

Vielleicht klingt die Frage, die mich immer wieder beschäftigt, in den Ohren der meisten sehr naiv. Aber da es heißt, es gebe keine dummen Fragen, sei sie hier gestellt: Was würde denn konkret passieren, wenn Deutschland seinen außenpolitischen Kurs änderte und einen anderen Weg einschlüge, weg vom USA-Vasallentum, weg von der blau-gelben Kostümierung von der Leyens? Weg von diesem klebrigen, liebedienernden Rattenschwanz (der mich immer ein bisschen an “Die Goldene Gans“ erinnert, ganz zu unrecht eigentlich, denn im Märchen, wo das witzig war, versuchte schließlich jeder, sich nach Möglichkeit von dieser Abhängigkeit zu lösen).

Kurzum: Was würden wir eigentlich riskieren, wenn wir eine selbstbestimmte, deeskalierende, auf unseren Interessen basierende Außenpolitik einschlügen?

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Petra Erler's avatar

Liebe Angie,

das ist eine interessante, aber im Augenblick völlig theoretische Frage.

Als deutsche Regierungen noch eine etwas selbstbestimmtere Politik machten, hieß das ja nie, mit den USA total zu brechen, sondern sich Handlungsspielräume nach West und Ost und auch nach Asien zu schaffen (in der Vergangenheit: Nein zur direkten Kriegsteilnahme (Irak/Libyen/ Syrien), ja zu Nordstream, ja zu einem EU-China-Investitionsabkommen).

Das bedeutete unter Umständen schweren Ärger, aber auch NICHTS WIRKLICH SCHLIMMES.

Das WIRKLICH Schlimme für uns begann in dem Augenblick, als wir das aufgaben, also nicht mehr nüchtern unsere Interessen analysierten und nun mit Erstaunen feststellen, dass die USA immer knallharte Interessenpolitik betreiben, einschließlich wenn es um ihre Wirtschaft geht.

Ungarn ist auch nichts Schlimmes passiert, als es am Gasvertrag festhielt. Oder Italien, als Draghi Verhandlungen ins Spiel brachte, oder der Türkei oder Saudi Arabien.

Kurz, wir wurden uns selbst zum Risiko (den Rest hat dann der Anschlag erledigt)

Die deutsche Theorie der "Zeitenwende" basiert auf der Annahme, wir zertöppern Russland im Verbund ("ruinieren") und gehen gestärkt aus der Sache hervor und diese Annahme gilt fort.

Praktisch aber ist die Lage echt verfahren. Nordstream ist in großen Teilen kaputt - eine Reparatur würde die Einheitsfront der Sanktionen durchbrechen (also unwahrscheinlich). Die Mehrheit der politischen Klasse + Medien hyperventilliert, wenn die nur an Russland denken (alles, was vorher war, war falsch, wir haben uns geirrt, worauf die CDU auch noch schön rumhackt, als hätte sie mit der Vergangenheit nichts zu schaffen)

Bei einem (theoretischen) Versuch, von Nordstream noch zu retten, was zu retten ist (also den letzten Strang doch benutzen), zerfliegt die Koalition, ohne das die Rettung dann gelingen würde, weil die CDU jetzt eine CDU der nach-Merkel-Zeit ist und Merz nur nach Westen schaut + die USA würden schäumen vor Wut, während die Sanktionspolitik wiederum alle möglichen Schlupflöcher schafft, um einen funktionierenden Betrieb zu verhindern, selbst wenn Russland noch liefern wollen würde (ist nun auch unklar).

In der Öffentlichkeit herrscht noch keine Klarheit wie schlimm der Verlust billiger Energie für unser Land ist und noch werden wird.

Hinzu kommt die politisch und medial wachsende Bereitschaft, sich nun auch gegenüber China konfrontativer zu verhalten. Das Drama wird so vollends zur Tragödie.

In den wichtigsten Ressorts (außer dem Kanzler, der gerne führend schweigt oder Artikel pinselt) sitzen zwei Grüne, glücklich darüber, dass sie die Jobs haben, die sie haben, mit großem Selbst- und Sendungsbewusstsein ausgestattet, an dem sie frisch und munter alle Welt teilhaben lassen.

Die ganze "Lage" erinnert mich an Treibsand.

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Angie's avatar

Danke, liebe Petra! Ich wollte einfach mal das Szenario "Was wäre, wenn...?" durchgespielt haben. Dass wir uns hier - nicht nur sprachlich - auf den Konjunktiv beschränken müssen, ist mir schon klar.

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Hardy Koch's avatar

Guten Tag, Frau Erler,

freut mich zu sehen und zu lesen, dass Sie Ihrem geerdeten Weg treu geblieben sind.

Mit besten Grüßen

Hardy Koch

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Petra Erler's avatar

Danke für dieses schöne Kompliment!

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Jana Weinert's avatar

Ja, so ernst ist es. Und ich frage mich auch, warum sehen das viele nicht. Es gibt noch immer so viele verständnislose Reaktionen, wenn man auf die USA verweist. Es ist so schlüssig - man muss nur hinsehen, sich erinnern, nachlesen. Und solche Beiträge lesen. Eine Art Emanzipationsbewegung wäre gut. Sie wird kommen. Nur wann und wodurch. - Und dann, hierzulande ist der Mensch nicht besser, Andienerei unter eine macht hat lange Tradition und setzt ja entsprechende Muster voraus. Auch hierzulande weiß der Mensch immer mit großer Sicherheit, wie es anderswo ist und trägt Bilder und Urteile vor sich her, hinter denen er das Bild von sich selbst, als besser gestellt, als einer von denen, die auf der besseren seite stehen, aufrecht erhält. - Deshalb ist mir der letzte Absatz so wichtig. Zuhören lernen. Sehen lernen. Sich und alles andere immer wieder in Frage stellen. Mir sagen: Ich weiß das meiste eben nicht - also muss ich fragen und sehen und zuhören. Auch mir selbst und den inneren vorgefertigten Sätzen anfangen zu misstrauen. Danke für den Beitrag.

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Petra Erler's avatar

Ich danke Dir, liebe Jana, so groß war die Krise auch noch nie.

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