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jd_73's avatar

Sehr geehrte Frau Erler, ihre Ansichten schließen nicht die Ansichten von Dirk Pohl mann und Columba aus, dass Russland letztendlich durch USA/NATO in diesen Krieg hinein gezwungen wurde. Ich denke, die russische Regierung war zumindest noch bis Ende 2021 an Verhandlungen ernsthaft interessiert und hatte auf ein Einlenken von USA/NATO gehofft. Da jedoch schon in den Jahren vorher sämtliche Vorschläge der russischen Regierung zu einem "gemeinsamen Haus Europa" von der EU sowie eine politische Zusammenarbeit von USA/NATO abgelehnt und verächtlich gemacht wurden, hat die russische Regierung die Tonart geändert und auch ihre militärischen Fähigkeiten präsentiert.

Die Modernisierung des Waffenarsenals war aus russischer Sicht wegen der Ablehnung der Sicherheitsinteressen durch den Westen nur konsequent. Schafft man es nicht, die eigenen Interessen gegenüber USA/NATO mit diplomatischen Mitteln durchzusetzen, so muss man halt im Notfall auch zu militärischen Mitteln greifen. Aus moralischer Sicht mag dies nicht gut sein, allerdings geht es Staaten immer nur um ihre Interessen. Die Moral ist letztenendes nur für das Volk da, um es auf die eigene Seite zu ziehen.

Zudem ist zu berücksichtigen, dass die NATO in den letzten Jahren immer wieder große Manöver zu Lande und zur See an den Grenzen Russlands durchgeführt hat, immer gegen Russland gerichtet. Die russische Regierung hatte also allen Grund, sich militärisch abzusichern. Und hier stellt sich auch die Frage: Wollten die westlichen Militärs tatsächlich keinen Krieg? Ich erinnere hier auch an Planspiele des US-Militärs, begrenzte Atomschläge zu führen (https://www.wsws.org/de/articles/2015/06/06/ukra-j06.html).

Die Besetzung der Krim durch Russland war tatsächlich keine Überraschung, da für das russische Militär der Hafen Sewastopol eine überragende strategische Bedeutung besitzt. Er ist der einzige ganzjährig eisfreie Hafen und ermöglicht den Zugang zum Mittelmeer. Dass die Bevölkerung der Krim die russische Armee willkommen geheißen hatte, lag auch daran, dass die ukrainische Regierung die russische Sprache verboten hatte, um so dem Ziel einer "reinen" Ukraine näher zu kommen.

Warum die russische Regierung erst jetzt ihre Armee in den Osten der Ukraine einmaschieren lässt, darüber lasst sich vorerst nur spekulieren. Waren die militärischen Fähigkeiten 2014 (dem Beginn des Beschusses von Donezk und Luhansk) noch nicht groß genug? Hoffte man trotz dem, vor allem von den USA initiierten, Regime Change in Kiew noch auf eine einvernehmliche Lösung mit dem Westen? Oder waren es die Aussagen, des ukrainischen Präsidenten Selenskij, Anfang 2022 dass die Ukraine Stationierungsgebiet von Atomraketen werden sollte, die das Fass zum Überlaufen brachte (die Vorwarnzeit würde im Ernstfall für Russland auf unter fünf Minuten sinken)?

Fakt ist außerdem, dass US-Präsident Biden Anfang Februar den 16. Februar als Tag für den Angriff Russlands auf die Ukraine angab. Dies war zufälligerweise genau der Tag, an dem die ukrainische Armee ihren Beschuss auf ostukrainische Städte und Stellungen intensivierte, in Vorbereitung auf eine Großoffensive auf die "abtrünnigen Gebiete".

Trotzdem hat Putin danach noch einem Verhandlungsangebot unter Vermittlung des französischen Präsidenten mit den USA zugestimmt. Die russische Seite war allerdings skeptisch, dort größere Fortschritte zu erzielen. Natürlich kann es auch sein, dass dies nur eine Verschleierungstaktik der russischen Regierung war. Am 24. Februar marschierten russische Truppen dann in die Ukraine ein. Dabei beschränkten sie sich auf die Zerstörung der militärischen Infrastruktur und setzten eine Zermürbungstatktik ein. Das hocheffiziente Agieren konnte die russische Armee schon im Syrienkrieg einüben. Im Gegensatz zu der shock-and-awe-Strategie schont dieses gezielte Vorgehen auch die zivile Infrastruktur, vermeidet möglichst zivile Opfer und lässt auf eine größere Akzeptanz einer russischen Besetzung durch die Zivilbevölkerung hoffen.

Seit dem 24. Februar verfolgt die russische Regierung ihre Interessen also militärisch, da sie Verhandlungen mit dem Westen als sinnlos ansieht. Die UNO hat Russland dabei als Vermittlungsoption außer acht gelassen, da sie durch ihre ständige Missachtung durch die USA momentan eine eher untergeordnete Rolle als Vermittlerin spielt. Aus russischer Sicht wäre ein Beschwerde dort nur Zeitverschwendung gewesen. Zeit, in der die ukrainische Armee mit Unterstützung des Westens im Osten der Ukraine weitere Fakten zu Lasten Russlands hätte schaffen können.

Der Westen wiederum hat in seiner Hybris die Widerstandsfähigkeit der russischen Wirtschaft unterschätzt und seinen Einfluss in der Welt überschätzt. Nur ca. 1/3 aller Staaten dieser Welt macht bei den Sanktionen gegen Russland mit. Russland hat somit noch genügend Absatzmärkte für seine Produkte, um die eigene Wirtschaft am Laufen zu halten. Vor allem die EU-Staaten sind die Verlierer, die in für sie teurer Vasallentreue sich die eigene Energieversorgung durch planlose Sanktionen gekappt haben und einem dramatischem Wirtschaftseinbruch entgegentaumeln. Mit allen negativen Folgen für die eigene Bevölkerung wie Armut, Arbeitslosigkeit usw. Zusätzlich werden durch die Sanktionen wichtige Weizen- und Düngemittellieferungen blockiert, was nicht nur Auswirkungen auf die europäische Nahrungsmittelsicherheit hat, sondern auch die Wirtschaft der afrikanischen Länder sowie die Staaten des Nahen und Mittleren Ostens mit in den Abgrund reißen.

Einzig für die USA läuft es einigermaßen nach Plan: Durch den Ukrainekonflikt wird Russland militärisch gebunden und kann China nicht zur Hilfe eilen, wenn die USA dort einen Krieg vom Zaun brechen. China ist immer noch der Hauptgegner für die USA, von dem sie sich in ihrer Vormachtstellung bedroht sehen. Zusätzlich wird die EU als wirtschaftlicher Konkurrent geschwächt und Europa kann im Ernstfall als atomares Schlachtfeld bei einer Ausweitung der Kampfzone dienen.

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Petra Erler's avatar

Ein sehr interessanter tweet von dem Hohen Beauftragten J. Borrel nach dem G 20-Treffen (auf dem es nicht so lief, wie sich das einige dachten):

https://twitter.com/JosepBorrellF

"Der globale Kampf um die Narrative zum Ukraine-Krieg ist in vollem Gang. Und im Augenblick gewinnen wir nicht..."

Borrells Schlussfolgerung daraus: Mehr Anstrengungen notwendig...

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