Zu Amtseid, Kollateralschäden, Wahrnehmungsmanagement und Nibelungentreue
Über Studien zur Energiepolitk, einschließlich Nordstream 2, den dicken russischen General Pawel, über ukrainisch-britische Mathematik und Afghanistan
Nach Art. 64 GG in Verbindung mit Art. 56 GG schwören Kanzler und Minister bei der Vereidigung den folgenden Eid:
„Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. (So wahr mir Gott helfe.)“
Wie versteht die aktuelle Bundesregierung diesen Amtseid in der Praxis, wenn es um den Ukraine-Krieg geht?
Es gibt keine Anzeichen zu politischer Verhandlungsbereitschaft oder einer deutschen Friedensinitiative, um in der Ukraine und in Europa Frieden zu schaffen.
Die Bundesrepublik leistet militärische Unterstützung für die Ukraine und glaubt, ein „bisschen kriegsschwanger“ mache sie nicht zur Partei. Als de facto Kriegspartei treibt die Bundesregierung allerdings die Angst vor russischer Vergeltung um.
Sie ist stolz darauf, gemeinsam mit den USA über Monate Wirtschaftssanktionen ausgetüftelt zu haben, von denen sie überzeugt ist, dass diese Russland „ruinieren“ (Baerbock), aber uns weniger schaden als Russland (Scholz).
Joe Biden hat dem israelischen Fernsehsender N 12 gerade gesagt, es wäre doch von Anfang an klargewesen, dass die Sanktionen jedem weh tun würden. Und er wisse auch nicht, wie lange das alles dauert. Vielleicht Jahre, möglicherweise auch der Krieg.
Wen wundert es da, dass großer Schaden schon sichtbar ist?
Daher wird die Bevölkerung auf schwere Zeiten eingeschworen, als seien diese so unvermeidlich wie Ebbe und Flut.
Die Bundesregierung beendete Nordstream 2, dessen wirtschaftliche Rationalität immer außer Frage stand.
Andersdenkende Politiker werden zur Putinschen „Fünften Kolonne“ herabgewürdigt, russische Politiker verachtet. Die Liste ließe sich fortsetzen.
Solange der Mainstream das alles beklatscht, entsteht kein politisches Problem. Das entsteht erst, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist: Wenn die Inflation weiter galoppiert, die Wirtschaft schwächelt, astronomisch hohe Energierechnungen in Wohnungen, Häuser, Einrichtungen und Unternehmen flattern, von einer energetischen Notlage ganz zu schweigen.
Der Winter 22 wird ein wenig „empfindlich“, sagte jüngst laut Reuters ein italienisches Regierungsmitglied.
Damit es nur ein bisschen „empfindlich“ wird, kaufen EU-Staaten derzeit weltweit LNG-Gas auf und bringen so andere Länder in energetische Notlagen.
,
bzw Bloomberg und andere:
„Europas Plan, russisches Gas aufzugeben, stürzt Pakistan in die Dunkelheit.“
Muss das alles so sein?
Eine geschwächte Bundesrepublik Deutschland, eine geschwächte EU, ärmere Länder im energetischen und Ernährungsnotstand - Das alles kann doch nicht am Ende einer Operation stehen, die mit transatlantischen und ukrainischen Solidaritätsadressen, Vergeltungsschwüren gegenüber Russland und lautem Werte Tamtam startete?
Nun haben einige den Vorschlag gemacht, Nordstream 2 zu öffnen. Das wurde hierzulande behandelt wie Hochverrat, auch innerhalb der eigenen Partei.
Studien zur Energiepolitik
Weil das so ist, lege ich jedem eine kaum beachtete Studie des Europäischen Institut für Sicherheitsstudien (EUISS) ans Herz, die sich mit dem äußerst komplizierten Problem beschäftigt, wie man die energetische Transformation zu Klimaneutralität bewältigt. Sie wurde am 28. Januar 2022 vorgelegt. Bezahlt wird die Arbeit des EUISS aus Steuergeldern.
https://www.iss.europa.eu/content/europes-energy-crisis-conundrum
Da damals noch nicht der Schlachtruf „Putin ist an allem schuld“ galt, lieferte die Verfasserin originäre Einsichten in die Ursachen des Energiekostenanstiegs in der EU und machte auch Vorschläge, wie man der Volatilität der Märkte besser begegnen kann.
Dazu gehören stabile Lieferbeziehungen mit Russland, einschließlich Nordstream 2 (die Autorin plädierte für eine Konfliktentschärfung mit Russland), ein Verzicht auf das in der EU propagierte Grenzkostenmodell, eine balancierte Energietransformation, die sich nicht einseitig und zu schnell auf erneuerbare Energien kapriziert, sondern die Notwendigkeit im Auge behält, dass eine „Grundlast“ abzusichern ist, falls die Natur nicht „mitspielt“, der Wind nicht bläst, wie man hofft, der Winter zu kalt, der Sommer zu heiß ist, Dürre herrscht, (was die Nutzung der Wasserkraft beeinträchtigt) oder globale Mitwettbewerber willens sind, im Kampf um die knappen Ressourcen höhere Preise zu bieten.
Kurzum, wer diese Studie genau liest, bekommt eine Ahnung davon, wie komplex die notwendige Energiewende zur Klimarettung ist, und dass diejenigen, die sie steuern, ihr Handwerk gut verstehen müssen. Mit flotten Sprüchen ist da nichts getan.
Im Text und auch in Fußnote 22 versteckte die Autorin elegant Hinweise, was sie davon hielt, dass im Herbst 21 die USA (und natürlich schloss sich der europäische Mainstream umgehend an) den Vorwurf erhoben, Russland manipuliere die Märkte (zu Lasten der EU). Qua Gesetz, so die Autorin, sei Gazprom verpflichtet, zuerst die russischen Speicher zu füllen, bevor es zusätzliche Lieferungen an internationale Empfänger vornehmen kann.
(Anm.: Denn darum ging es damals: Erst hieß es, Russland liefere nicht wie vereinbart, dann, Russland erfülle „nur“ seine Vertragspflichten.)
Die Autorin wies zudem darauf hin, dass dieser Vorwurf verdeckte, dass die USA keineswegs LNG-Gas nach Europa schickten, um den Bündnispartnern beizuspringen.
(“Allegations by the US that Russia exerted market manipulation obscure the fact that US LNG cargoes were not dispatched to bring relief to the EU”.)
Anmerkung: In Asien war mehr zu verdienen.
Wohlgemerkt, diese Studie wurde zu einem Zeitpunkt geschrieben, als es noch keinen russischen Angriff auf die Ukraine gab, als der Westen noch nicht mit massiven Sanktionen gegen Russland das fragile Gefüge einer international vernetzen Welt zusätzlich erschütterte.
Die Verwundbarkeit der EU aber lag bereits bloß.
Nach meinem Eindruck ist die Studie jeden Cent unserer Steuergelder Wert. Sie ist seriös und enthält überlegte Vorschläge.
Auch das WEF hat im Mai 22 eine Studie zur Problematik vorgelegt. Sie beschreibt die Ursachen der aktuellen Energiekrise korrekt. Sie identifiziert die energieintensiven Industrien als ein reales Problem, drückt sich aber in windigen Formulierungen um die Frage herum, ob Papier, Zement und Aluminium demnächst noch hergestellt werden sollen/ dürfen. Zu guter Letzt meint die Studie, jetzt wäre die richtige Zeit, Gas zu geben, um noch mehr in regenerative Energieerzeugung zu investieren. Das unterscheidet sie am deutlichsten von der EUISS-Studie.
https://www3.weforum.org/docs/WEF_Energy_Transition_Index_2022.pdf
Die WEF-Leute scheinen noch nie davon gehört zu haben, dass Windräder einfrieren können (Texas), 2021 die Dürre vier afrikanische Länder in Energieprobleme stürzte.
Sri Lanka geriet ins wirtschaftliche Elend und nun ins politische Chaos, weil es eine agrarpolitische Kehrtwende machte, nur noch organisch düngen wollte,
https://foreignpolicy.com/2022/03/05/sri-lanka-organic-farming-crisis/
und dann kamen alle übrigen Krisen (Schulden, Währung, Energie) obendrauf.
In übertragenem Sinne gilt, dass alles, was radikal ideologisch und ohne Bedacht auf die Folgen gemacht wird, unberechenbar ist, regelrecht gefährlich.
So wie die aktuelle Ukraine-Politik.
Wie es heißt, verteidigt die Ukraine die Freiheit (Europas und der ganzen Welt), so wir das früher am Hindukusch machten, aktuell im (Rest)-Donbass, demnächst am Dnjepr, und wenn die Ukraine sich dabei selbst zerreißt, dann ist sie halt für unsere Freiheit ausgeblutet.
Was, wenn in diesem unerträglichen Krieg eine Seite aus Versehen ein ukrainisches Kernkraftwerk so zusammenschießt, dass der Reaktor explodiert? Oder noch etwas anderes aus dem Ruder läuft, wie etwa der belebte Schwarzmarkthandel mit Waffen? (Die internationalen Märkte sind schon im Chaos-Modus.)
Je länger der Krieg dauert, um so größer wird auch das Risiko einer nuklearen Auseinandersetzung. Das sollte jeder bedenken. Nur Leute, die unter Wirklichkeitsverlust leiden und verblendet sind, glauben, so etwas müsse man nicht fürchten und könne das sogar überleben.
Aber nein, die Ukraine siegt und Russland wird in den Staub gestampft, so lautet das Narrativ. Aktuell braucht die Ukraine zwischen 5 und 9 Mrd. Dollar pro Monat, allein um das Staatswesen aufrecht zu erhalten.
Zum Narrativ gehört, dass die Russen aus dem letzten Loch pfeifen.
Auch bei den Generälen sieht es ganz mau aus, einige wurden von Ukrainern mit amerikanischer Hilfe umgebracht, die andern verstehen nichts von Kriegsführung.
General Pawel
Einige internationale Medien erzählten deshalb auch vor kurzem die Story vom extrem übergewichtigen russischen General a.D. Pawel, der nun wieder reaktiviert werden musste (um Löcher zu stopfen).
Die Quelle: (mutmaßlich britische) Geheimdienstkreise.
Ein Newsweek-Artikel fasste das alles schön zusammen, einschließlich der Reaktion des republikanischen Abgeordneten Kinzinger.
Newsweek war vorsichtig genug, die ganze Sache mit etwas Skepsis zu betrachten.
https://www.newsweek.com/photo-obese-russian-general-pavel-putins-army-prompts-speculation-1719470
Zwei belgische Journalisten vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk dagegen folgten ihrem Auftrag und ihrer Berufung: Der Mann existiert tatsächlich in all seiner Pfunde-Pracht, heißt Iwan Iwanowitsch Turchin. Er ist ein ehemaliger Militär und Grenzbeamter, im Ruhestand.
https://threadreaderapp.com/thread/1545651614253555712.html?utm_source=pocket_mylist
Nun will die Ukraine erklärtermaßen eine Million Ukrainer/-innen mobilisieren, für die angekündigte Gegenoffensive im August. Etwa 600 aus dieser Million werden aktuell in Großbritannien ausgebildet. (Ziel 10.000)
Bis gestern hatten die allerwenigsten jemals ein Gewehr in der Hand. Ihre „Grundausbildung“ dauert 4 Monate.
Was soll das werden: PR oder ein großes ukrainisch-russisches Schlachtfest?
Achtung Mathematik:
Laut Präsident Selenskyj werden täglich 200 ukrainische Soldaten getötet – das macht in 100 Tagen 20.000, in 120 Tage 24.000 Opfer. Im gleichen Zeitraum sollen 10.000 wehrdienstfähig gemacht werden.
Bin ich eine „moralisch verwahrloste Putin-Versteher“(in), wenn mich diese Rechnung sehr nachdenklich macht?
Mich erinnert das Ukraine-Narrativ an das von der tapferen afghanischen Armee, die selbstverständlich den Taliban standhalten wird.
Das Telefonat Biden - Ghani
Reuters berichtete am 31. August 2021 von einem Telefonat zwischen Präsident Biden mit Ghani, kurz vor dem Truppenabzug, Ghanis Flucht (mit nicht so viel Geld, wie Russen in Kabul behauptetet hatten, aber doch einer schönen Summe) und dem Sieg der Taliban.
Reuters war die Mitschrift des präsidialen Telefonats zugespielt worden und auch die Audiodatei.
Biden versicherte Ghani unter anderem „er habe die beste Armee“.
Reuters berichtete weiter:
“In much of the call, Biden focused on what he called the Afghan government’s “perception” problem. “I need not tell you the perception around the world and in parts of Afghanistan, I believe, is that things are not going well in terms of the fight against the Taliban,” Biden said. “And there is a need, whether it is true or not, there is a need to project a different picture.”
Übersetzung
„In einem Großteil des Anrufs konzentrierte sich Biden auf das, was er das „Wahrnehmungsproblem“ der afghanischen Regierung nannte. „Ich muss Ihnen nicht sagen, dass die Wahrnehmung auf der ganzen Welt und in Teilen Afghanistans, glaube ich, ist, dass die Dinge im Kampf gegen die Taliban nicht gut laufen“, sagte Biden. „Und es besteht die Notwendigkeit, ob es wahr ist oder nicht, es besteht die Notwendigkeit, ein anderes Bild zu projizieren.“
Biden wollte den Truppenabzug und ich denke, das war die grundsätzlich richtige Entscheidung.
Aber so?
Plötzlich waren die Amis weg und hatten ganz vergessen, ihre Bündnispartner zu informieren. Nach mir die Sintflut.
Wer im alten/neuen Taliban-Land feststeckte, hatte Pech, und die Taliban konnten sich u.a. über US-Militärgerät im Wert von Milliarden freuen. Die Milliarden afghanischen Vermögens in den USA wurden eingesackt, und Afghanistan ist vorerst kein Thema mehr. Man schaut nach vorn, und das große Debakel wird zum Schnee von gestern. Ghani, der mithalf, „ein anderes Bild zu projizieren“, muss nicht hungern.
Die Art des damaligen US-Rückzugs hat ihre NATO-Verbündeten nicht erfreut. Das Afghanistan-Problem ist geblieben.
Nun werden alle mittels der Ukraine wieder auf „Linie“ gebracht. Wahrnehmungs-Management sozusagen.
Man kann das so machen und mit sich machen lassen. Man kann sich solchem Führungsverständnis unwidersprochen und offenbar in Sachen Ukraine auch noch gerne dienend unterordnen, während man über gewachsene deutsche Verantwortung schwadroniert und auf neue militärische Größe hofft.
Bis man eventuell wieder im Regen steht, Europa verloren ging. Und das wäre noch nicht das Schlimmste, was uns droht.
Dass Nibelungentreue den Nutzen des deutschen Volkes mehrt und Schaden von ihm wendet, ist nichts als eine Projektion.
In dem Vortrag von Ulrike Guérot bei den Pleisweiler Gesprächen erwähnt sie Auskunft eines Fachkenners (hab vergessen, wer das war) dazu, warum der 1. Weltkrieg so lange dauerte.
Es war nicht unwesentlich die Lobbyarbeit der Rüstungsindustrie. Man darf davon ausgehen, dass die als größter Gewinner dieser heutigen Katastrophe auch jetzt massiv die Hände im Spiel hat.
Und die aus dem "Dienst am deutschen Volk" bzw. dem Dienst an der Bevölkerung Deutschlands ausscheidenden Politiker brauchen ja schließlich hinterher auch die Anschlussverwendung, die dann das Konto und das Aktiendepot füllt.
ich danke ihnen!
für einen profunden, klugen artikel. ohne den heute üblichen schaum vor dem mund, ohne propaganda.
wohltuend!
merci und schönen gruß.
alexander langenhagen