Wenn nur alles so einfach wäre! Wenn es nur irgendwo böse Menschen gäbe, die heimtückisch böse Taten begehen, und es nur nötig wäre, sie von uns anderen zu trennen und zu vernichten. Aber die Trennlinie zwischen Gut und Böse schneidet durch das Herz eines jeden Menschen. Und wer ist bereit, ein Stück seines eigenen Herzens zu zerstören?“
Solschenytzin, Archipel Gulag
https://www.goodreads.com/quotes/13750-if-only-it-were-all-so-simple-if-only-ther
„Sind die Menschen, die aus Syrien fliehen, vor einem Krieg der ohne massive russische Militärhilfe gar nicht möglich wäre, nicht auch ein Opfer des Despoten Putin?“ Das fragte Schmickler in den jüngsten „Mitternachtsspitzen“ während seines Plädoyers für die Gleichbehandlung von Flüchtlingen durch die EU. Und ich dachte: Was ist mit Schmickler passiert? Warum redet der bei so einem wichtigen Thema zwischendurch solchen Unsinn?
Dann fand ich eine Meldung der Tagesschau vom März 2022 „Assads Krieg dauert nun 11 Jahre“, die mit Schmicklers Weltbild (aber auch dem anderer „Meinungsmacher“ in Deutschland) perfekt harmoniert:
Vor elf Jahren begann der Krieg in Syrien - die Hälfte der Bevölkerung verlor ihre Heimat. An der Seite von Machthaber Assad zerbombte die russische Luftwaffe Städte wie Aleppo und Homs. Viele Syrer fühlen jetzt mit den Ukrainern.
https://www.tagesschau.de/ausland/asien/krieg-syrien-111.html
Beides steht exemplarisch dafür, dass sich bewusst oder unbewusst die Wahrnehmung von Realitäten verschob. Selbst öffentlich zugängliche Informationen spielen offenbar gar keine Rolle mehr.
Hätte die Tagesschau eine Hilfskraft mit Recherchen beauftragt, dann wäre möglicherweise klar geworden, dass der Kampf um Homs 2014 endete, die russische Armee erst 2015 auf Assads Bitten direkt militärisch eingriff und so den Vormarsch von ISIS auf Damaskus stoppte, dass der Kampf um „Aleppo“ sich wiederum auf den kleinen Ostteil der Stadt konzentrierte, der zu diesem Zeitpunkt unter der Kontrolle von Al Nusra stand, was das Pentagon wusste, aber medial und politisch ignoriert wurde, und dass heute die USA den fruchtbarsten Teil Syriens, dort, wo es auch Öl gibt, widerrechtlich okkupieren.
Der syrische Diktator ist als Schlächter und Vergifter der Syrer gebrandmarkt und wehe jenen, die am Lack des westlichen Syrien-Narrativs kratzen, wie u.a. 2015 General Michael Flynn (ab Minute 7).
Inzwischen, in einer emotional hoch aufgeladenen Situation, wird von viel zu vielen alles geglaubt, was sie glauben wollen. Da können die Wenigsten noch klar denken. Empörung, Wut, Verzweiflung, auch Hass lassen kaum Spielraum dafür. Jeder, der je selbst von solchen Gefühlsstürmen übermannt wurde, WEISS, dass der Verstand einfriert.
Grauen ohne Bildbeweis aber erschreckt kaum noch. Am 28. August wurde Liz Truss von einem Moderator gefragt, wie sie sich fühlen würde, wenn sie in die Lage käme, das atomare Potential des Vereinigten Königreiches als letztes Mittel freizugeben, was die Welt vernichten würde. Truss hielt es für ihre Pflicht. Ich bin bereit, das zu tun, lautete ihre Antwort. Aber ich hatte nach Ihren Gefühlen gefragt, insistierte der Moderator. Truss bekräftigte ihre Antwort. Die Zuhörer applaudierten einer geistigen Weltvernichterin.
Der Moderator, dem beim Gedanken an eine solche Entscheidung mulmig im Bauch werden würde, erkannte nicht mehr den Widerspruch in seiner Frage: Weltvernichtung als „letztes Mittel“? Was könnte je Anlass sein, um „als letztes Mittel“ die Menschheit im nuklearen Auschwitzofen zu verfeuern?
Wir sind schon so lange im medialen und politischen Management unserer Emotionen gefangen, dass es schwerfällt, den Zeitpunkt zu benennen, an dem alles kippte. Ich meine den Zeitpunkt, zu dem nicht mehr die sachliche Information im Vordergrund stand, es nicht mehr um den Diskurs ging, egal wie hoch die Wogen schlugen, nicht mehr um die Beurteilung von Fakten, sondern um gegenseitige Vorverurteilung, Hass und zunehmende Entmenschlichung.
Aus vielen Gründen erinnere ich mich an Joe Bidens Harvard-Auftritt 2014. (Er ist insgesamt sehr erhellend und nicht nur Herrn Schmickler empfohlen.)
Biden sagte damals zur innenpolitischen Lage in den USA, früher hätten die politischen Parteien in den USA im politischen Streit immer die Urteilskraft der anderen Seite hinterfragt, niemals die Motive. Das habe sich geändert.
(ab 1:05 h)
2022 hat Biden das Meiste des damals Gesagten vergessen. Für ihn und seine Administration ist inzwischen „semifaschistisch“ und „extremistisch“ (und muss bekämpft werden), wer nicht die Meinung der Mehrheit teilt.
So kehrte der „Krieg gegen den Terror“ schließlich ins Mutterland zurück.
Die Liste der verschobenen Realitäten ist lang.
Sie betrifft Menschen, die als „trojanische Pferde des Kremls“ verunglimpft oder zu Verrätern stilisiert wurden, wie Snowden und Assange. Nur das russische Exil rettete Snowden vor einem ähnlichen Schicksal wie Assange, für den die allermeisten selbsternannten Tugendwächter der Demokratie und Freiheitsrechte keinen Finger rühren.
Immer sind die Russen mit im Plot. Snowden, ein russischer Spion? Assange, ein Helfershelfer des Kremls, der angeblich von Russen gehackte interne Parteidokumente der US-Demokraten veröffentlichte? Ein Beweis für die russische Hacker-Schuld wurde nie erbracht.
Auf dieser Liste steht an oberster Stelle die Leugnung des Versprechens an Gorbatschow 1990, die NATO nicht nach Osten auszudehnen. Als diese Lüge unhaltbar wurde, folgte der zynische Verweis, Gorbatschow (die Sowjetunion) hatte damals größere Sorgen (Geld) und das noch zynischere Achselzucken, es gäbe ja nichts Schriftliches.
Die USA entledigt sich selbst Verträgen, wenn ihr danach ist, siehe ABM-Vertrag, siehe INF-Vertrag, siehe Iran.
Merkel räumte 2022 öffentlich ein, dass sie beim Beschluss zur NATO-Erweiterung um die Ukraine und Georgien wusste, dass das aus Sicht Putins einer Kriegserklärung gleichkam.
, ab Minute 36).
“We agreed today that these countries (Georgien/ Ukraine) will become members of NATO.“
https://www.nato.int/cps/en/natolive/official_texts_8443.htm
Sie hält sich zugute, dass sie eine schnelle NATO-Mitgliedschaft der Ukraine verhindert habe. Tatsächlich hat auch sie, 1990 Zeitzeugin und Beteiligte am Prozess der deutschen Einigung, Wortbruch begangen.
Aber Merkels Äußerung, dass sie Putins Haltung kannte (nicht teilte), machte auch auf einen anderen Umstand der Ver-Rücktheit unserer Zeit aufmerksam. Heute wird emsig gegraben, was alles die Gefühle anderer verletzen, was nachträglich betrachtet als Rassismus, kulturelle Aneignung usw. interpretiert werden könnte.
Diesem Übereifer steht die völlige Ignoranz der Interessen und Gefühle politischer Widersacher aber auch eines großen Teils der Welt gegenüber. Statt die Partei, die Partei hat immer recht, singt der Westen sich selbst ins Recht. Demokratien KÖNNEN nicht irren. Westliche Demokraten lügen nicht. Demokraten wissen alles besser.
Putin will einen Vertrag mit Sicherheitsgarantien für Russland, will verhandeln? Nicht mit uns. Washington wischte den letzten russischen diplomatischen Vorstoß vor dem Krieg, im Dezember 2021, vom Tisch. Das NATO-Mitglied Deutschland duckte sich weg. Für die Umsetzung des Minsk-Abkommens hat der Westen nicht gekämpft.
Wir verkämpfen uns um die „Mohrenstraße“ oder Karl Mays Dichtungen. Das erspart, auch nur einen Blick auf die reale Lage der amerikanischen Ureinwohner heute in ihren Reservaten zu riskieren oder gar zu versuchen, die Welt in ihrer Gänze wahrzunehmen. Denn dazu müsste man die Interessen anderer, den Blickwinkel anderer einbeziehen. Andere Sichtweisen als die, die wir für richtig halten, sind uns komplett egal. Wir urteilen inzwischen zunehmend ohne Faktengrundlage.
Damit wir mit ihnen möglichst auch nicht mehr konfrontiert werden, wird Desinformation und Falschinformation geschrien bis zur Heiserkeit, zensiert, wo es nur geht und am Ende läuft der Kampf gegen die Desinformation auf Selbstverstümmlung hinaus. Wer nicht mehr weiß, was ein anderer denkt und warum, folgt blindem Glauben, wie ein Sektenmitglied.
Auf dieser Liste steht die Glorifizierung der Maidan-Ereignisse in der Ukraine 2013/2014 als „friedliche, pro-westliche Revolution“.
Der Protest der ethnisch russischen Ukrainer wurde umgewidmet. Das galt als pro-russischer, fremdgesteuerter antidemokratischer Terror. Der Feldzug gegen den Donbass, sprich die eigenen ukrainischen Landsleute, begann im April 2014 als „Anti-Terror Operation“, beschlossen von einer Regierung, die durch Verfassungsbruch an die Macht gelangte, mit neuer politischer Führung, die von den USA ausgesucht worden war. Empört hat uns nur der Verfassungsbruch auf der Krim. Da setzten die Sanktionen ein. Sie wurden verschärft wegen MH 17, wo auch die Russen am Werk gewesen sein sollen und erzählt wurde, die „Abtrünnigen“ seien bar jedes menschlichen Anstandes im Umgang mit den Opfern gewesen. Bis heute haben die USA die angeblichen Aufnahmen zu MH 17, die alles dokumentiert hätten, nicht vorgelegt.
Einen prominenten Platz nimmt „Russiagate“ ein: die angebliche russische Wahleinmischung in den USA 2016, die Donald Trump zum Sieg verholfen haben soll. Landauf und landab wurde diese Lüge von US-Demokraten und mit ihnen verbündeter Geheimdienstler verbreitet und ein dämonisches Bild erzeugt: Wenn sich dieser Putin an der Führungsmacht der Welt vergreift und einen US-Präsidenten „führt“, welch schlimmes Schicksal droht dann den schwächeren Ländern? Für Hillary Clinton blieb Trump immer der „illegitime“ Präsident, der ihr die Wahl gestohlen hat, für Nancy Pelosi führen alle Trumpschen Wege zu Putin.
Der „Fall Skripal“ schuf eine neue Sanktionsrunde. Nun war der „Killer“ Putin angeblich geoutet. Mit Chemiewaffen mordende Diktatoren wie Putin und Assad sind Brüder im Geiste. Der eine entledigt sich so der „Verräter“, der andere des eigenen Volks. Wer dieses Narrativ in Zweifel zieht, ist ein russischer Desinformant. Die Taktik der Briten war simpel aber hocheffizient: Wir haben ein plausibles Narrativ, das auf eine russische Täterschaft verweist. Daher sollte Russland gestehen. Gesteht es nicht, ist es schuldig.
Die Saga ist nicht beendet. Seit 4 Jahren mühen sich die Briten nun ab, den Tod von Dawn Sturgess zu erklären und im Unterschied zu früher ist nun alles hochgeheim. Der Anwalt der Familie, Mansfield machte auf diesen Widerspruch im Juli 2022 deutlich aufmerksam und bezweifelte in seiner Einlassung auch, ob es überhaupt Regierungsdokumente gäbe, die das öffentlich Verkündete belegten.
Auch Hunter Bidens Laptop muss erwähnt werden. Seit 2019 verfügt das FBI darüber. Die NY Post machte 2020, in der Schlussphase des US-Wahlkampfs, ausgewählte Inhalte öffentlich. Das wurde zur russischen Desinformation erklärt und aus dem öffentlichen Diskurs herausgehalten, unter aktiver Beteiligung von Teilen des FBI.
Zig ehemalige (hochrangige) US- Geheimdienstler wollten das „Muster“ erkannt haben, das russische Desinformation verrät.
Auch Mark Zuckerberg, der bei Joe Rogan jüngst offenbarte, dass das FBI im Fall von Facebook eine aktive Rolle bei der Zensur der Information zum Laptop spielte, verwies auf das „Muster“ (It fitted the pattern).
(ab Min 5:09)
So wurde desinformiert und manipuliert.
Im zweiten öffentlichen Schlagabtausch der Präsidentschaftsbewerber erklärte Biden, der Charakter stünde zur Wahl. Trump konterte, Biden wäre ein korrupter Mensch, wenn die Informationen auf dem Laptop stimmten. Biden wies das unter Berufung auf das Urteil der ehemaligen Geheimdienstler entschieden zurück: alles nur russische Desinformation. (ab Min 8:22)
Wem der beiden Kontrahenten hat man wohl geglaubt?
Der Laptop ist real, die enthaltenen Informationen für Biden politisch brisant. Aufgeklärt ist nichts.
Kurz, die Liste der kleinen, mittleren und großen Lügen (Ver-rückungen) unserer Zeit, die sich längst in den Köpfen so vieler festgefressen haben, ist lang.
Täglich kommen neue hinzu und auch neue Ausflüchte. Wer beschießt das ukrainische Kernkraftwerk? Angeblich unklar. Beschießen Russen sich selbst?
Wer wollte die Delegation der Inspektoren der Internationalen Atomsicherheitsbehörde zum menschlichen Schutzschild machen und das Werk so zurückerobern? In Deutschland wurde nichts darüber berichtet, also gab es das gar nicht.
Tatsächlich hat die russische Seite für die Sicherheit dieser Inspektoren bei diesem Vorfall gesorgt.
„Sicherheitshalber“ folgte die nächste „Informations“-Volte: Man weiß ja gar nicht, ob man diesen unabhängigen Inspektoren überhaupt trauen kann.
Denn die Inspekteure (oder ihr Chef) werden demnächst vor dem UN-Sicherheitsrat aussagen.
In der 2014-Rede präsentierte sich Biden als „Optimist im Weißen Haus“. Das 21. Jahrhundert sei ein amerikanisches. Biden ist auch 2022 ein klarer Vertreter von „America first“, dem Anspruch, die Führungsmacht der Welt zu sein.
2014 forderte er unter anderem sein Harvard-Publikum auf, die Hand zu heben, wer glaube, die Europäer (die EU war gemeint) wären ernsthafte Wettbewerber für die USA (nachdem er zuvor über China sprach).
In der gleichen Rede schwelgte er im US-Einfluss auf die Ukraine.
Niemand im Publikum in Harvard widersprach damals Biden (was zu erwarten war), aber die EU machte auch Männchen. Es störte nicht, dass die USA in der Ukraine den Ton angaben, obwohl das Land inzwischen mit der EU assoziiert war.
Biden erzählte den Harvard-Studenten, welche Mühe es die USA gekostet hätte, die Europäer 2014 zu Sanktionen gegen Russland (wegen der Ukraine-Ereignisse) zu bewegen.
Acht Jahre später reagierte Frau Frau Illner am 4. März überhaupt nicht auf das Eingeständnis des Bundeskanzlers, dass das Konzept der aktuellen Wirtschaftssanktionen gegen Russland in Washington ausgearbeitet wurde. Wir wurden ja beteiligt.
Wir halten das für Partnerschaft und begreifen nicht, dass Partnerschaft Begegnung auf Augenhöhe bedeutet. Sonst ist es Vasallentum.
Die USA sind sich dessen sehr viel mehr bewusst. Sie üben eine ordnende Hand aus, nicht immer zum Nachteil der EU, ganz gewiss nicht, aber definitiv so, dass die Interessenhierarchie gewahrt bleibt.
Am 23. Februar 2022 sandte das Weiße Haus eine Botschaft an Deutschland. Nordstream 2 war zu Grabe getragen. Glückwunsch.
Das stand am Beginn der heutigen Energiekrise und nicht Putin.
Am 24. Februar begann der russische Krieg in der Ukraine. Angeblich unprovoziert, völlig grundlos. Das kann man rauf und runterbeten, wahrer wird es dadurch nicht.
Ein russisches Argument in der Diskussion um die Anerkennung der Donbass-Republiken lautete: Egal, was wir machen, wir werden immer bestraft. Und falls jemand nach dem Grund sucht, warum Russland heute nicht isoliert ist, dann ist der genau dort zu suchen. Andere Völker sind in der Lage, einen Völkerrechtsbruch klar zu benennen und gleichzeitig nicht die Augen vor der Geschichte zu verschließen.
Was sagte die First Lady der Ukraine der BBC über die durch den Krieg und die westlichen Sanktionen ausgelösten realen Lasten für Millionen Europäer: Während Ihr Eure Pennies zählt, zählen wir unsere Toten.
https://www.bbc.com/news/av/world-europe-62778723
Alles das müsste nicht so sein, und die Schuld trägt nicht eindimensional Russland (Putin).
Aber so werden wir wieder gegeneinander gehetzt, damit wir nicht verstehen, dass es vom Thron des Weltenlenkers USA nur eine Perspektive gibt: Wenn in der Ukraine gestorben wird, muss das so sein, notfalls bis zum letzten Kämpfer, wenn das die Russen schwächt.
Wenn in der EU gefroren und gehungert werden muss, muss das so sein, wenn das die Russen schwächt.
Wenn die Welt ins Chaos stürzt, China mittels Taiwan brüskiert wird, dann muss das alles eben sein, damit das 21. Jahrhundert ein amerikanisches bleibt und kein Runder Tisch der Völker, kein Friedensschluss, kein Dialog auf Augenhöhe entsteht.
Das sollen wir glauben und gutheißen. Wir sollen den guten Absichten und noblen Intentionen trauen, obwohl es hinreichend viele Dokumente und Aussagen gibt, die die US-Interessen brutal auf den Tisch legten und legen. Die vom US-Militär gesponserte Studie 2019 von RAND zur Destabilisierung Russlands liefert einen schönen Beitrag, ganz übersichtlich geordnet, mit Kosten und Nutzen-Analyse. Das Thema Energie spielt auch eine Rolle.
https://www.rand.org/pubs/research_briefs/RB10014.html
Wo bleiben wir in dieser aktuellen Glaubensschlacht mit unserer genuinen europäischen Erfahrung, dass Handel und wirtschaftliche und politische Verflechtung „Erbfeindschaften“ überkommen können? Dass Deutschland sich so wieder zivilisierte.
Man muss es dem Bundespräsidenten ins Stammbuch schreiben: Mit seinem anti-russischem mea culpa hat er versucht, sich aus der Schusslinie zu nehmen und auf dem Zeitgeist zu reiten. Tatsächlich mutierte er zum Anti-Europäer. Merkel hat das im Gespräch im DT nicht getan.
Die aktuelle Politik Deutschlands und der EU ist nicht mehr getrieben von der Idee der Gründerväter der europäischen Einigung, soweit sie der damaligen Friedenbewegung entsprang. Meines Erachtens steht sie auch nicht mehr dem Boden des Grundgesetzes (Art 23), das uns zum Ringen um Frieden in ganz Europa verpflichtet.
Die heutige Regierung lässt sich von einem hinfälligen, aber extrem feindlich gesinnten US-Präsident am Nasenring durch die Manege zerren, etwas, was wir dessen Vorgänger Trump in dieser Form nicht gestatteten (von Bush und Obama ganz zu schweigen).
So sind wir nicht nur Zeuge eines sterbenden amerikanischen Imperiums im Krieg. Dem fällt aktuell die Ukraine zum Opfer. Unsere Lage ist komplizierter. Wir sind Mitwisser, Mittäter und Opfer zugleich. Als wir Russland aus Europa exorzierten und die Geschichte Deutschlands ignorierten, verrieten wir uns selbst.
Zunächst einmal herzlichen Dank für den kenntnis- und detailreichen Text inklusive überzeugender Recherche und Quellen-Verlinkung. Eine der Kernfragen, die vermutlich aus Angst, in der Ecke von Verschwörung zu landen, zu wenig öffentlich diskutiert wird, ist in der Tat jene nach den Motiven der derzeitigen und vormaligen Funktionseliten - obwohl deren politische Entscheidungen auf jeden halbwegs vernünftig denkenden Zeitgenossen bizarr wirken. Karl Jaspers hat mal sinngemäß geäußert, man sollte das Moment der Dummheit in der Politik nie unterschätzen, und tatsächlich bietet der intellektuelle Horizont der westlichen Führungselite angefangen von Joe Biden, über Liz Truss bis hin zu Baerbock ein Bild des Jammers. Dennoch lässt sich die nachgerade hündische Ergebenheit gegenüber der „unverzichtbaren“ Weltmacht weder mit Dummheit noch mit unhinterfragter Bewunderung für die westliche Demokratie allein erklären.
Vieles spricht eher dafür, dass die Verschärfung der Krise des globalen Kapitalismus gewollt, eiskalt kalkuliert und konsequent betrieben wird. Die inzwischen bis zum Anschlag gewachsenen wirtschaftlichen und sozialen Widersprüche und Spannungen lassen sich nicht mehr mit den bisher üblichen Methoden innerhalb des bestehenden Systems lösen. Gleichzeitig muss mit aller Macht eine soziale und demokratische Alternative verhindert werden. Naomi Klein hat mit und in ihrem Buch „Die Schockstrategie“ einen brauchbaren entsprechenden Erklärungsansatz geliefert: Ohne Schock und Zerstörung kann der Neoliberalismus nicht überleben, er kann immer nur aus der eigenen Asche auferstehen.
Bleibt der lückenlose Schulterschluss zwischen Politik und Medien. Hier zeigt sich immer deutlicher, dass - abgesehen von einem längst vergangenen „goldenen Zeitalter“ - Medien in letzter Konsequenz systemrelevante, ergo -erhaltende Institutionen sind, deren Rolle keineswegs in der Kontrolle der Herrschenden besteht, sondern in deren Absicherung.
Danke für die wunderbar klare Darstellung der vielen Facetten!!! Eine kleine Ergänzung ergibt sich aus der jüngsten Veröffentlichung bei Thomas Röpers Anti-Spiegel. Wenn das dort vorgestellte Papier von RAND authentisch sein sollte, dann realisiert man in den USA inzwischen, dass die unipolare Weltordnung nicht zu halten ist mit der Konsequenz, in ganz Europa, aber vor allem in Deutschland „verbrannte Erde“ zu hinterlassen.