
Discover more from "Nachrichten einer Leuchtturmwärterin"
Was man über das Ende der Sowjetunion wissen sollte, wenn man über Russland und die Ukraine redet
Die Vereinbarungen von Minsk und Alma Ata 1991
Die politische Auflösung der Sowjetunion
Am 8. Dezember 1991 trafen sich die Vertreter Russlands, der Ukraine und Belarus in Minsk. Dort beschlossen sie, die Sowjetunion aufzulösen und stattdessen die Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS) zu etablieren. Aus der zentralisierten Sowjetunion sollte ein föderatives Modell entstehen.
Sie luden alle früheren Sowjetrepubliken aber auch weitere Staaten ein, sich daran zu beteiligen.
Ein Schlüsselartikel dieser Vereinbarung war der Artikel 6. (siehe ab Seite 144 https://www.venice.coe.int/webforms/documents/?pdf=CDL(1994)054-e)
Die drei Parteien verpflichteten sich auf Zusammenarbeit zur Friedenssicherung und zur Reduzierung der Rüstungs- und Militärausgaben.
Sie kündigten an, alle Nuklearwaffen eliminieren zu wollen, unter strikter internationaler Kontrolle.
Alle würden die Anstrengungen des anderen nach Nuklearwaffenfreiheit und Neutralität respektieren.
Sie würden gemeinsame Befehlsgewalt über die Armee, einen gemeinsamen militärischen und strategischen Raum und eine gemeinsame Kontrolle über die Nuklearwaffen ausüben. Letzteres sollte in einem speziellen Abkommen präzisiert werden.
In Alma-Ata traten am 21. Dezember 91 diesem Abkommen sieben weitere ehemalige Sowjetrepubliken teil: Armenien, Aserbaidschan, Kasachstan, Moldawien, Tadschikistan, Turkmenistan, Usbekistan.
(vgl. ebenda S. 147)
In einer Erklärung stimmten alle Teilnehmer zu, dass Russland für die Sowjetunion die Nachfolge des Ständigen Sitzes im Sicherheitsrat antreten sollte.
Positiv wurde hervorgehoben, dass die Ukraine und Weißrussland (neben der Sowjetunion) zu den Gründerstaaten der Vereinten Nationen gehörten. Allen weiteren Mitgliedern der GUS wurde ebenfalls Unterstützung zur Teilhabe an der international anerkannten Staatenwelt zugesagt.
(vgl. ebenda, S. 151)
Im Protokoll von Alma Ata wurde festgehalten, dass die militärische Befehlsgewalt bis zur Auflösung der Armee der Sowjetunion an Russland überging.
(vgl. ebenda, S. 149)
Gleichzeitig verabschiedeten vier ehemalige Sowjetrepubliken (Kasachstan, Russland, Ukraine, Weißrussland) nochmals eine gemeinsame Erklärung in Alma Ata, wie mit den sowjetischen Nuklearwaffen umgegangen werden sollte.
Nach dieser Verabredung sollten die Atomwaffen, die in Kasachstan, der Ukraine und in Weißrussland lagerten, verschrottet werden. Alle vier sollten, solange es die Waffen gab, eine gleichberechtigte Mitsprache für den Fall ihres Einsatzes haben. Alle vier bekannten sich zum Ziel der Atomwaffenfreiheit. Alle vier sprachen sich gegen einen Ersteinsatz bei solchen Waffen aus.
(vgl. ebenda, S.152)
Die Vereinbarungen von Alma-Ata dokumentieren eine ungemein große Friedensbereitschaft der damaligen „Zertrümmerer“ der Sowjetunion.
Sie beinhalteten auch die klare Formulierung, dass die Sowjetunion somit aufhören würde, zu existieren. Sie „zerfiel“ nicht. Sie löste sich nicht auf. Sie wurde vertraglich abgeschafft.
Unter dem Aspekt der Kontrolle über das Atomwaffenpotential der Sowjetunion haben ihre Abschaffer äußert verantwortungsvoll gehandelt.
Aber sehr vieles blieb damals ungelöst, und auch das wurde zu einem zusätzlichen Quell von Problemen. Schon der deutsche Einigungsvertrag war nicht leicht. Aber im Fall der Beendigung der Sowjetunion wurde in knapp drei Wochen etwas zusammengeschustert, das unmöglich - außer in der Nuklearfrage - alle Fragen auch nur im Ansatz erfassen konnte.
Die GUS beseitigte zudem nicht das Problem der faktischen russischen Dominanz in der neuen Allianz. Dazu war Russland viel zu groß, alle Wirtschaftsbeziehungen mündeten in übertragenem Sinn, so wie alle französischen Züge in Paris, in Moskau. Die Erfinder der GUS hatten praktisch auch die militärische Führung an Russland abgegeben.
Hinzu kamen die Konflikte, die vor und mit der Entstehung der Sowjetunion entstanden waren und in den Jahren ihres Bestehens unter der Oberfläche schlummerten.
Die Ukraine war zwar Teil der Abschaffung der Sowjetunion und Mitgründer der GUS. Sie hat ihr aber nie angehört.
Sie kooperierte dort, wo sie es für sinnvoll erachtete. Das ukrainische Parlament hatte schon zum GUS-Vertrag 91 viele Vorbehalte.
Weder Minsk noch Alma Ata regelten beispielsweise die Auflösung und Restrukturierung der sowjetischen Armee im Detail, oder was mit den Schulden der Sowjetunion geschehen sollte. Es waren Grundsatzdokumente, mehr als Garantie für die Welt gedacht, denn zur Organisierung der Entflechtung eines ehemaligen Imperiums tauglich. Die Vereinbarungen erinnern an koloniale Grenzziehungen, ohne Rücksicht, dass Millionen von Menschen plötzlich in Ländern aufwachen würden, die sie sich nicht ausgesucht hatten.
Schnell wurde die Zukunft der sowjetischen Nuklearwaffen in der Ukraine ein Problem.
Die Ukraine liebäugelte durchaus mit einer Verfügung darüber. Das Budapester Abkommen von 1994, das 2014 eine so große Rolle spielte, war in der damaligen Zeit die politische Möglichkeit, die Ukraine auf die 1991 eingegangenen politischen Abrüstungsverpflichtungen von Minsk und Alma Ata wieder festzulegen und eine Nichtweiterverbreitung von Nuklearwaffen zu garantieren.
Nachdem diese Lösung gefunden war, ging auch die Entflechtung des sowjetischen Militärs, wenn auch mühsam, weiter voran. Die Zukunft der Schwarzmeerflotte war lange strittig und der Truppenstationierungsvertrag, der Russland eine militärische Präsenz auf der Krim einräumte, gehörte dazu. Damals ging das Hand in Hand mit einem Freundschaftsvertrag zwischen der Ukraine und Russland, der 1997 ausgehandelt wurde.
Man kann nicht ausschließen, dass Russland wegen seines Gewichtes die Ukraine dominieren konnte, aber man kann genauso wenig ausschließen, dass alles auch ein echtes Interesse und ein echtes Bedürfnis nach Klärung der offenen Fragen ausdrückte. Schließlich musste ein Ukrainer, der auf dem Territorium des neuen Russlands einst arbeitete, genauso eine Rente bekommen, wie ein Russe, den es nach Jahren des Dienstes in der Ukraine wieder ins Mutterland verschlagen hatte.
In allen damaligen Verträgen verpflichtete sich Russland auf den Schutz der territorialen Integrität der Ukraine. Es verpflichte sich genauso wie die Ukraine auf Freundschaft.
Dieser Pakt wurde förmlich 2014 gebrochen. Den Anfang machte Kiew.
Das alles sollte man wissen.
Was man über das Ende der Sowjetunion wissen sollte, wenn man über Russland und die Ukraine redet
Guten Abend Petra Erler!
Ein hervorragender Artikel!
Ich habe eine Frage dazu: sind die Verträge von Minsk (1991) und Alma Ata (1991) von den jeweiligen Parlamenten der Unterzeichnerstaaten ratifiziert worden?
Vielen Dank für Ihre Antwort,
Herzliche Grüße
Heinz
Auch wenn der Artikel schon vor Monaten publiziert wurde, dennoch ein Zusatz, der den meisten nicht bekannt ist:
Die ukranische Delegation für Minsk reiste über Washington nach Minsk.