Was Biden im Abgehen so alles erzählt
Sein MSNBC-Interview mit dem Titel "Letzte Worte" vom 17. Januar 2025
Nach seiner öffentlichen Abschiedsrede im Weißen Haus gab Präsident Joe Biden MSNBC ein Interview. Laurence O’Donnell eröffnete ihm die Gelegenheit zu einem „letzten Wort“. Auffällig an diesem Interview ist, dass O’Donnell den Präsidenten reden ließ. Er sollte seine Sicht auf die Dinge erzählen. Kritische Nachfragen gab es nicht, auch keine Fragen, die Biden womöglich in Bedrängnis gebracht hätten.
https://www.msnbc.com/the-last-word/watch/biden-shares-serious-concern-for-u-s-democracy-in-oval-office-interview-with-lawrence-o-donnell-229548101646
Das unterschied dieses Interview sehr deutlich vom Gespräch, das die NYT-Journalistin Lulu Garcia-Navarro mit Außenminister Antony Blinken am 5. Januar 2025 führte. Dessen Weltsicht ist auch sehr aufschlussreich: Wenn beispielsweise die Chinesen auf Treffen anhaltende Beschwerde führen oder die EU ihr geplantes Abkommen mit China aufgibt, dann sind das Beweise für geglückte US-Außenpolitik.
Aber zurück zu Biden. Schließlich geht mit Biden einer von der US-Bühne, der über 50 Jahre im politischen Geschäft war. Im Alter von 29 Jahren wurde er zum US-Senator in Delaware gewählt. Bei O`Donnell gibt Biden an, die Sorge um Machtmissbrauch hätte ihn in die Politik getrieben. In den Augen seines Vaters sei Machtmissbrauch die größte Sünde gewesen.
Einem Porträt von Biden aus dem Jahr 2019 zufolge, kandidierte er erstmals für den Senat, weil er einen neuen Job brauchte. Ihm kam seine Jugend und seine Bilderbuchfamilie genauso zugute, wie seine Redegewandtheit und die Fähigkeit, nirgends anzuecken. Er war gegen den Vietnamkrieg, aber nicht grundsätzlich, und bezeichnete sich gerne als republikanischer als sein damaliger in die Jahre gekommener republikanischer Konkurrent. Progressiv war er nie.
https://slate.com/news-and-politics/2019/06/joe-biden-1972-race-senate.html
Der Biden des Jahres 2025 entdeckte US-Oligarchen als Gefährder der Demokratie. Während Präsident Eisenhower in seiner Abschiedsrede vor dem militärisch-industriellen Komplex warnte, adressierte Biden die Technologie-Branche. Er sagte in dem Zusammenhang:
„Americans are being buried under an avalanche of misinformation and disinformation enabling the abuse of power. The free press is crumbling. Editors are disappearing. Social media is giving up on fact-checking. The truth is smothered by lies told for power and for profit.”
Übersetzung:
Die Amerikaner werden unter einer Lawine von Fehlinformationen und Desinformationen begraben, die den Machtmissbrauch ermöglichen. Die freie Presse bröckelt. Redakteure verschwinden. Die sozialen Medien geben die Faktenprüfung auf. Die Wahrheit wird durch Lügen erstickt, die aus Macht- und Profitgründen verbreitet werden.
Grundsätzlich ist dieser Befund nicht falsch. Die Frage ist, wer die sind, die die Wahrheit unter einem Berg von Lügen begraben: die vielen kleinen Internetnutzer, die unabhängigen Journalisten? Oder waren es ausgerechnet die US-Demokraten und zuletzt die Biden-Administration, die nach einer inhaltlichen Gleichschaltung der veröffentlichten Meinung lechzten? So sehr, dass das Vertrauen der meisten US-Bürger in die sogenannten liberalen Medien abstürzte. Man denke nur an die längst widerlegte Behauptung, Russland habe sich massiv in die US-Wahlen 2016 eingemischt, Trump mache gemeinsame Sache mit dem Kreml („Russiagate“, seit 2016), an die Unterdrückung jeder Berichterstattung über den Laptop von Hunter Biden als mutmaßliche russische Desinformation (2020) oder an die Corona-Informationspolitik (2020 einsetzend). Was wurde damals alles zur Verschwörungstheorie/Desinformation erklärt! Twitter, Facebook und Google (You Tube) kamen sehr lange den offiziellen Wünschen nach, möglichst koordiniert alles das, was nicht in die postulierte „Wissenschaft“ passte, von ihren Plattformen zu verbannen bzw. dessen Reichweite aktiv zu unterdrücken (Presse Briefing, Weißes Haus vom 16.07. 2021).
Im Interview erzählte Biden, vier hochkarätige US-Journalisten hätten ihn von ihrer Sorge erzählt, dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden, dass sie die Wahrheit gesagt, bzw. hochgehalten hätten. Glaubt er das womöglich? Wenn ja, müsste er Assange umgehend begnadigen, denn Assange ist nachweislich der prominente westliche Journalist, der politisch verfolgt wurde, von der Obama-Administration bis zur Biden-Administration, weil er nur die Wahrheit publizierte und nichts als die Wahrheit.
Und wie ist es nun mit den US-Oligarchen? Fakt ist, dass das System der Wahlkampffinanzierung in den USA Tür und Tor für den Einfluss von mächtigen Geldgebern öffnet, ob nun unverhüllt oder als sogenanntes „schwarzes Geld“, also völlig intransparent.
Fakt ist ebenfalls, dass in US-Wahlkämpfen enorme Summen verbraten werden. Im Wahljahr 2024 waren es sage und schreibe insgesamt knapp 17 Milliarden US-Dollar. Inflationsbereinigt war das Jahr 2020 noch teurer. Kleinspender machen rund ein Fünftel der Geldgeber aus, die entweder in Wahlkampfkampagnen, Lobbygruppen für einzelne Kandidaten oder direkt in bestimmte Kandidaten investieren.
Fakt ist ebenfalls, dass laut US Today im Zeitraum Januar 2023 bis Oktober 2024 mehr Milliardäre Biden (später Harris) unterstützten als Trump. Harris hatte dadurch knapp 1 Milliarde an Mitteln, Trump knapp 400 Millionen. Zwei der drei Hunderte von Milliarden schweren Milliardäre, Gates und Bloomberg, unterstützten Biden/ Harris. Der dritte, Musk, ursprünglich auch ein Geldgeber der Demokraten, wechselte nach dem Attentat auf Trump die Seite und unterstützte Trump.
Kurzum, Biden und später Harris haben das Geld sehr gern genommen, wenn es ihnen aus den Taschen der Reichsten zufloss. Eine einzige Spendengala in Hollywood spülte Biden beispielsweise 28 Millionen in den Wahlkampfkoffer. Erst nach der missglückten Debatte mit Trump drohte der Geldsegen der Reichen und Superreichen für Biden zu versiegen.
https://www.nytimes.com/2024/07/11/us/politics/biden-george-clooney-hollywood.html
(Bezahlschranke)
Eine Initiative der US-Demokraten, in den USA ein System der Parteienfinanzierung aufzubauen, wie es in der EU existiert, hat es nie gegeben. Obwohl es Not täte. Obwohl es tatsächlich wichtiger und auch dringender ist als je, den direkten Zugang der 0,1 Prozent-Klasse zur Politik und auch deren Einmischung in die Politik zu kappen. Was sich als Philanthropie oder gesellschaftliche Sorge maskiert, ist nichts anderes als eine Strategie zur dauerhaften Absicherung der eigenen Exklusivität und Wohlstandsmehrung. Damit die globale Mehrheit der absoluten und relativen Habenichtse nicht, so wie einst in der französischen Revolution, zu den Heugabeln greift, sollen diese möglichst ruhiggestellt werden. Nick Hanauer, einer aus der Klasse der 0,1 Prozent, der sich als Plutokrat (sprich: aus dem Geld entspringt Macht) bezeichnete, sprach dieses Problem vor zehn Jahren unumwunden an.
Wie die Wenigen sich abzusichern gedenken, kann differieren. Gleich ist das aktive Verlangen, die eigene wirtschaftliche Macht in politische und kommunikative Macht umzumünzen.
Im Interview mit O`Donnell gab sich Biden ganz als Vertreter der „kleinen Leute“. Dass gerade die den US-Demokraten von der Fahne gingen, lag laut Biden womöglich nur daran, dass er nicht genug damit geklappert hätte, wie sehr er doch Sorge dafür getragen habe, dass die Vielen eine „gerechte Chance“ (a fair shot) bekämen.
O`Donnell lobte Biden dafür, dass der die wirtschaftliche Stärkung der USA und ihre Führungsrolle in der Welt als zwei Seiten derselben Medaille gesehen hätte. Über das weltweit präsente US-Militär sprach in diesem Interview keiner. Unter Berufung auf Roosevelt erklärte Biden, er habe dessen Grundgedanken aufgegriffen, die Gewerkschaften gestärkt und dafür Sorge getragen, dass mit amerikanischen Steuermitteln amerikanische Arbeitsplätze und amerikanische Produkte gefördert wurden. Erneut beklagte Biden, unternehmerische Gier aber auch bestimmte Politiker hätten US-Arbeitsplätze und industrielle Fähigkeiten ausgesourct. In diesen Passagen klang Biden beinahe wie Trump. Für Biden ist klar, die USA müssen die führende Wirtschaftsmacht in der Welt sein. Nicht klar ist ihm, dass China den USA längst diesen Rang abgelaufen hat. Das Wort China fällt im gesamten Interview überhaupt nicht.
O`Donnell fragte nach Israel und den Chancen eines Waffenstillstands. Biden führte zunächst aus, dass es eindeutig sei, dass die langfristige Sicherheit Israels ohne die Lösung der Palästina-Frage nicht gewährleistet sei, nicht die Sicherheit der Palästinenser, nicht die Sicherheit der amerikanischen Juden. Dafür habe er vier Jahre lang gearbeitet mit anderen Ländern in der Region. Bibi (Netanjahu) sei sein Freund, aber sie stimmten nicht in allem überein. Gleich beim ersten Besuch nach dem Terroranschlag der Hamas im Oktober 2023 habe Biden Bibi gesagt, er könne nicht Bombenteppiche abwerfen auf Unschuldige. Dieser habe ihm entgegnet, dass die USA das auch gemacht hätten im Zweiten Weltkrieg (Bibi soll nur Berlin erwähnt haben), sie sogar zwei Atombomben abgeworfen hätten, um den Krieg zu gewinnen. Biden habe darauf geantwortet, dass man deshalb dann die UNO gründete.
Trotz des in mehr als nur einer Hinsicht äußerst bizarren Rededuells, das Biden wiedergibt, fragte O`Donnell nicht nach. Normalerweise mögen es die USA ganz und gar nicht, wenn sie daran erinnert werden, dass sie die einzige Nation sind, die je Atomwaffen einsetzte, und das zu einem Zeitpunkt, als Japan bereits am Boden lag. Er wollte wissen, ob damals schon über ein Waffenstillstand gesprochen worden sei. Nein, antwortete Biden.
Biden folgte im Interview erkennbar der israelischen Argumentation, dass die Hamas unter Schulen, Kirchen und Krankenhäusern aktiv sei. Die muss man kaputtmachen, um an die Tunnel zu kommen. Zudem habe Bibi eine sehr herausfordernde Regierungskoalition (gemeint sind die Extremisten in der Regierung). Das mache es sehr schwer für Bibi, ganz generell und auch in Bezug auf Waffenstillstandsverhandlungen.
Fakt allerdings ist, dass trotz dieses behaupteten Rededuells vom Oktober 2023 die USA die Bomben lieferten, mit denen große Teile von Gaza in Schutt und Asche gelegt wurden. Zumal selbst militärische Laien verstehen, dass die Zertrümmerung von Gebäuden den angeblichen Kampf gegen die in Tunneln agierenden Hamas-Kämpfer zusätzlich erschwert. Das hatte unter anderem die Bombardierung von Monte Cassino im Zweiten Weltkrieg gelehrt. Der damalige Ruinenkampf war äußerst verlustreich und nur durch einen Trick konnten die in den Ruinen verschanzten Deutschen schließlich überwältigt werden.
Ebenfalls ohne Nachfrage ließ O`Donnell Biden durchgehen, dass der Iran versucht hätte, Israel „vom Erdboden zu vertilgen“ mit tausenden Raketen. Dass davor ein israelischer Angriff auf den Iran stattgefunden hatte, blieb unausgesprochen. Tatsächlich haben die USA und einzelne andere Nato-Staaten den damaligen Gegenangriff des Iran, der äußerst transparent durchgeführt wurde, mit abgewehrt.
Das wiederum liegt bis heute dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj schwer im Magen. Im Gespräch mit Lex Friedman beschwerte er sich über die Ungleichbehandlung der Ukraine im Verhältnis zu Israel: Auch Israel sei kein Nato-Mitglied, aber im Fall Israels seien Nato-Staaten direkt militärisch eingeschritten.
Selenskyj wird nie den Unterschied verstehen. Israel ist im Vollbesitz moderner Massenvernichtungswaffen, durch keine Konvention gebunden und für die USA so wichtig, das man es - so Joe Biden - erfinden müsste, gäbe es das Land nicht schon. (Biden erstmals 1986, wiederholt 2023).
https://theconversation.com/biden-says-the-u-s-would-have-to-invent-an-israel-if-it-didnt-exist-why-210172
Die Unterstützung der USA für Israel sei „der größte Gewinn für unser Geld“ (biggest bang for our buck), sprich die Sicherung der US-Interessen in dieser Region der Welt, erklärte Biden recht unverblümt bereits 1986.
Die Ukraine ist „nur“ der aktuelle Hammer, mit dem man auf Russland schlägt.
Anders als im Gespräch der NYT mit Blinken fällt das Wort vom Verdacht eines Genozids nicht.
Das Verhältnis zu Russland und auch der Ukraine-Krieg kamen zur Sprache. Eingeleitet wurde es vom Statement Bidens, dass die USA die Welt führen müssen, und das einzige Land sind, das dazu alle nötigen Fähigkeiten hätte (unerwähnt: militärische Fähigkeit). Geleitet von den Regeln der UN-Charta.
Biden sei sehr schnell klar geworden, dass Putin Krieg gesucht hätte. Der wolle die „Finnlandisierung“ Europas. Bekommen hätte er die „Natoisierung“ Finnlands. Rund 180 Stunden hätte Biden darauf verwendet, die Nato wieder enger zusammenzuschmieden.
Während des Gesprächs mit Putin in der Schweiz am 16. Juni 2021 hätte er verstanden, dass Putin den Warschauer Pakt wieder errichten will und dass der glaube, die Ukraine gehöre zu Russland. Zum Beweis führte Biden eine Rede Putins an. Dieser meine, was er sage.
(Anmerkung: Gemeint war wahrscheinlich ein Artikel Putins vom Juli 2021, der allerdings erst nach dem Treffen in der Schweiz erschien und häufig so interpretiert wird, wie Biden es tat.)
Biden wurde auch gefragt, ob er nicht Angst gehabt hätte, mitten im Krieg nach Kiew zu reisen. Nein erwiderte Biden. Vor Putin habe er sich nicht gefürchtet, aber ein bisschen vor den Ukrainern, die Putin unterstützen.
O`Donnell fragte Biden ebenfalls, ob er mit Putin gesprochen hätte wegen der Gefahr des Einsatzes taktischer Nuklearwaffen durch Russland, die bei Kriegsausbruch in der Ukraine in der Luft gelegen habe. Biden antwortete, diese Gefahr hätte nie bestanden. Putin habe die Platzierung von Atomwaffen in der Ukraine abgelehnt und ihm auch gesagt, dass er wisse, dass die USA, wenn sie das wollen, ihn in Moskau ausschalten, Moskau zerstören könnten. Das alles muss, wenn überhaupt, vor dem Kriegsbeginn beredet worden sein.
Für den gesamten Russland-Teil im Interview gilt einerseits, dass Biden sich nicht genau erinnert, Zeitabläufe eingeschlossen. Gleichzeitig machte das Interview sehr deutlich, dass es seitens Biden keinen Versuch und kein Angebot gab, den Krieg zu verhindern. Es ist nur ganz klar, dass Biden nicht direkt gegen Moskau ziehen wollte. Putin ist für Biden ein Böser, einer, den man bekämpfen muss. Biden ist sich ebenfalls sicher, Putin wird seine Kriegsziele nicht erreichen. Wieder erwähnte er die angeblich hohen russischen Verluste (knapp 700.000). Über die ukrainischen Verluste fiel kein Wort. Die Zukunft der Ukraine, die laut Biden noch lange nicht Nato-Mitglied werden kann, weil sie sich erst ändern muss, war kein Thema.
O`Donnell schenkte Biden ein Wohlfühlinterview. Und doch, hört man genau hin, dann erkennt man durchaus auch Selbsttäuschungen und Täuschungen des scheidenden US-Präsidenten. Der tritt nun von der Bühne ab und glaubt sich erfolgreich: innenpolitisch, aber auch außenpolitisch.
In seiner Amtszeit sei es gelungen, so Biden, die USA wieder „zurück ins Spiel“ zu bringen. Tatsächlich ist Welt noch komplizierter und gefährlicher geworden als sie es vor Bidens Machtübernahme war. Aber das liegt wahrscheinlich, wie stets, an anderen.
Zu dem trügerischen und sich selbst betrügenden Geschwätz des Herrn Biden fäll mir nichts ein. Allerdings könnten naheliegende Parallelen für die Situation in der BRD gezogen werden.
Danke, Leuchtturmwärterin, für die zuverlässigen Nachrichten !
Ein Interview welches genau das Niveau des heutigen medialen Mainstreams widerspiegelt! Und in der causa Biden würde mich inzwischen nurmehr die ärztliche Diagnose seines Befinden interessieren