Ukrainische EU-Diplomatie : Lost in translation?
Anmerkungen zu pro-russischen "Informationsterroristen", "russischen Faschisten" und spanischem Klartext
„Schließlich gibt es ja nichts mehr zu sagen, was nicht früher schon gesagt worden wäre.“
Das findet sich unter „A“ in der Liste geflügelter Worte bei Wikipedia und soll von einem römischen Komödienschreiber stammen, der sich gegen Plagiatsvorwürfe wehrte. Eine ziemlich intelligente Verteidigung, wenn man bedenkt, was spätere deutsche Plagiatoren so von sich gaben, bevor ihnen der Doktorhut vom Kopf gefegt wurde.
Aber dennoch, ein wenig deprimierend ist das Ganze schon. Gibt es wirklich nichts Neues unter der Sonne?
Nun, Anfang September warf der EU-Außenbeauftragte Borrell in Prag regelrecht mit Neuigkeiten um sich, die jedoch, wenn man mal von den Russen absieht, an der Moldau hängen blieben.
Anm.: Die Berliner Zeitung nutzte einen TASS-Bericht über Aussagen Borrells zur erschwerten Einreise für russische Staatsbürger in die EU.
In Kriegszeiten (und wie der EU-Chefdiplomat auf einem Interparlamentarischen Treffen in Prag Anfang September mittelte, sind wir im Krieg), ist die Luftschlacht über die richtigen Informationen in vollem Gang.
Zu diesem Zweck hat die Ukraine nicht nur ihre Medienlandschaft gestutzt und alles „Pro-russische“ ausgemerzt. Ein eigens eingerichtetes „Zentrum für den Kampf gegen Desinformation“ (NSCD) ist Teil der nationalen Sicherheitspolitik.
Dieses Zentrum hatte auf einem Runden Tisch im Frühsommer festgestellt, dass es in der Ukraine gesetzliche Änderungen geben müsse. Es gäbe „Informationsterroristen“, die wissen müssten, dass sie „wie Kriegsverbrecher“ zur Verantwortung gezogen werden.
https://cpd.gov.ua/events/3898/
Während dieses Runden Tisches hatte der Leiter dieser Einrichtung auch eine Liste von Persönlichkeiten aus aller Welt vorgelegt, die nach ukrainischen Erkenntnissen in diese Kategorie fallen.
https://www.nachdenkseiten.de/?p=86695
Diese öffentliche Liste ist inzwischen, ohne Erklärung, von der Website verschwunden, so dass die Beschwerde Betroffener nunmehr wie russische Desinformation anmutet, verbreitet von den Nachdenkseiten und RT.
https://test.rtde.tech/live/video/148293-live-stoppt-verfolgung-von-kiews/
Nicht verschwunden sind die ukrainischen Feststellungen zu „Informationsterroristen“.
Deshalb fiel mir „Myrotworetz“ ein, die ukrainische NGO, die schon jahrelang verdächtigen Pro-Russen den Krieg erklärte und „Abschuss“-Listen erstellte.
„Myrotworetz“ ist immer noch im Internet aktiv und hat sich erfolgreich gegen das Verlangen der alten Bundesregierung behauptet, vom Netz zu gehen.
https://www.bundestag.de/presse/hib/846488-846488
Ja, wenn das ukrainische Herz glüht, dann beißt man sich an Слава Україні!
die Zähne aus.
Obwohl, möglicherweise ist auch „Myrotvorez“ inzwischen pro-russischen Informationsterroristen zum Opfer gefallen. Denn wenn man die Website aufruft, blickt man unter der Überschrift „TOD DEM RUSSISCH-FASCHISTISCHEN INVASOREN UND BESETZERN in schieres Grauen.
Rechts oben finden sich Ortbezeichnungen: Langley und Warschau, Polen. Wer würde schon so deutlich auf Verbindungen zur CIA hinweisen?
https://myrotvorets.center/
Aber zurück zu unserem ukrainischen Zentrum, das sich dem Kampf gegen Desinformation verschrieben hat. Dort fand Anfang September ein weiterer Runder Tisch statt, der sich dieser wichtigen Aufgabe widmete, mit internationaler Beteiligung. Das Zentrum veröffentlichte diesmal auch eine knappe wörtliche Wiedergabe von Teilnehmerbeiträgen auf Englisch.
https://cpd.gov.ua/events/osnovni-tezy-spikeriv-mizhnarodnogo-kruglogo-stolu/
Der Vertreter des Generalsekretärs des Europarates sprach von russischem „Informationsterrorismus“, der Leiter des ukrainischen Sicherheits- und Verteidigungsrates erklärte, dass Russland nach den „Mustern der Nazis“ (Lügen, Lügen, Lügen) verfahre. Das „totalitäre Regime“ gäbe dafür „Milliarden von Dollar“ aus.
Ein Experte des NATO-Zentrums für strategische Kommunikation befand, dass die Entwicklung einer „Informationshygiene“ notwendig sei.
Eine Expertin der gleichen Institution erklärte, dass der (russische) Aggressor auch „Wirtschaftsterrorismus“ betreibe, was die ganz Welt erkenne.
Ein Vertreter der schwedischen Psychologischen Verteidigungsagentur wies auf den Unterschied zwischen Propaganda/ Desinformation und „genuiner“ Meinungsfreiheit /Meinungspluralismus in demokratischen Gesellschaften hin.
Der neue politische Referent an der deutschen Botschaft von Kiew ließ wissen, dass Deutschland leider schon Jahre mit russischer Desinformation konfrontiert ist, „was zur Polarisierung unserer Gesellschaft geführt hat“. Russland Strategie bestehe darin, die Gesellschaft in seine Lügen zu verwickeln, mit immergleichen Narrativen (Geschichte, ökonomischer Kollaps). Wegen russischer Desinformation machten afrikanische Länder den Westen für den Hunger verantwortlich.
Offenbar hat sich der deutsche Neuankömmling problemlos ins Kiewer bzw. punktuell auch Brüsseler Meinungsklima integriert.
Und das führt mich wieder zum EU-Chefdiplomaten Borrell. Dieser wies den Vorwurf eines ungarischen Abgeordneten auf dem Parlamentariertreffen in Prag weit von sich, die Sanktionspolitik des Westens führe dazu, dass man in der EU erfriere und in Afrika verhungere. Er sprach dazu in Spanisch, um sich kurz und präzise ausdrücken zu können, wie er betonte. Eine Dolmetscherin (wahrscheinlich Tschechin) übersetzte ins Englische.
In Sachen Erfrieren beschied Borrell qua Dolmetscherin das Folgende:
Erstens, die EU erlebt einen heißen Sommer. Niemand erfriert. Und zweitens: Ungarn habe ja ein bilaterales Gas-Abkommen mit Russland, und deshalb würde in Ungarn auch gar keiner (er)frieren. Woanders könnte es schon mal Probleme geben.
Allerdings hatte er es einige Minuten zuvor noch als „strategischen Fehler“ der EU bezeichnet, auf billiges russisches Gas gesetzt zu haben, so dass irgendwie unklar blieb, was Borrell zur Äußerung über das glückliche Los der Ungarn bewegte.
Es kann natürlich auch an der Dolmetscherin gelegen haben, dass Borrells spanisch-präzise Einlassungen im Verfahren der Stillen Post landeten. Denn diese Erklärung fand die Europäische Kommission zu einer anderen Äußerung von Borrell.
Die Dolmetscherin hatte offenbar Borrell die folgenden Worte in Mund gelegt (ab 1:26:44):
„Noch haben wir keinen Plan, wie wir das faschistische Russland, sein faschistisches Regime besiegen wollen. Es ist auch nicht meine Aufgabe. Meine Aufgabe ist bescheidener.“
Das empörte lediglich die Russen, die sogar den spanischen Wortlaut des Gesagten einforderten.
Haben die keine Lippenleser oder Techniker, die die darunterliegende spanische Tonspur auf laut stellen können? Wirken die Sanktionen schon so drastisch?
Brüssel rückte nicht den spanischen Wortlaut heraus und beließ das „Original“ in der Mediathek.
Wir sind schließlich im Krieg. Neuerdings gegen die russischen Faschisten.
https://audiovisual.ec.europa.eu/en/video/I-229533
Aber damit nicht genug. Borrell äußerte sich auch zu einer diplomatischen Lösung des Ukraine-Konflikts, ganz klar in Spanisch, und wahrscheinlich verstand diese mutmaßlich tschechische Dolmetscherin wieder nur Bahnhof.
Zeigt mir den, der eine Verhandlungslösung zustande brachte, schnaubte die Dolmetscherin stellvertretend für Borrell. Keiner. Putin führt weiter Krieg. Auf Borrell konnte keiner zeigen, der hatte es ja nicht versucht, und so hörten alle Parlamentarier weiter fein zu.
Wenig später kam Borrell zum Thema, was die EU noch machen könne, und da fiel ihm (oder der Dolmetscherin) das Instrument der Diplomatie ein: Um der Welt zu erklären, was vor sich geht.
Denn Borrell ärgerte in seiner Replik erkennbar, dass man in anderen Teilen der Welt denken könnte, die EU-Politik hätte die Hungerkrise in Afrika provoziert/ mit verschärft. So was soll man nicht sagen, sagte die Dolmetscherin/ Borrell. Das stimmt nicht.
Danach besuchte Borrell einige afrikanische Staaten, darunter auch Mosambik.
Dort habe man Dank des EU-Dialogs mit Maputo in Sachen Ukraine eine Verständigung gefunden, soll Borrell erklärt haben. Wie die aussieht, blieb offen, denn die den EU-Top-Diplomaten begleitende Parlamentspräsidentin des Landes sagte: Wir sind nicht für den Krieg, sondern für den Dialog.
Da in Mosambik portugiesisch gesprochen wird, sind erneute Übersetzungsprobleme nicht auszuschließen.
Aber Mosambik ist auch Mitglied der SADC, und die tagte auf höchster Ebene im August. Der jüngste Gipfelbeschluss liegt in drei Sprachen vor (leider nicht auf Spanisch).
https://www.sadc.int/document/communique-42nd-ordinary-summit-sadc-heads-state-and-government
Unter anderem äußerten sich die versammelten Gipfelteilnehmer empört zum „Countering Malign Russian Activities in Africa Act“ des US-Kongresses (im Senat anhängig) und verwiesen die Sache an die Afrikanische Union.
In diesem Gesetzentwurf wird die US-Regierung unter anderem aufgefordert, de facto alle in Afrika zur Rechenschaft zu ziehen, die die US-Sanktionen gegen Russland nicht mitmachen. Der SADC-Gipfel unterstrich auch deutlich das Prinzip der Nichtpaktgebundenheit (siehe Ziffer 19)
https://www.govinfo.gov/content/pkg/BILLS-117hr7311rfs/pdf/BILLS-117hr7311rfs.pdf
Hat Borrell in Maputo etwa versprochen, dass die EU in Punkto Sanktionierung Afrikas auf keinen Fall solche Überlegungen anstellen wird wie US-Kongressabgeordnete unter Führung eines Demokraten?
Natürlich beschäftigt mich auch diese (mutmaßlich) tschechische Dolmetscherin. Schließlich soll diese die männlich-klaren Aussagen von Borrell verhunzt haben. Wer weiß, wie oft. Kennt man ja von der Ilsebill: der Mann gibt sich alle Mühe, die Frau versaut`s.
Aber ist es wirklich nur das?
Dank der jahrelangen überzeugenden Präsenz namenloser Geheimdienstler im westlichen Mainstream und der vielen Warnungen vor Desinformation wurde ich sehr nachdenklich.
Ist diese Frau möglicherweise vom Kreml geführt? Um zu desinformieren und den Konflikt zu eskalieren? Sogar Putin kommentierte die Borrell-Äußerung zum faschistischen Russland.
Prag ist offenbar ein Zentrum russischer geheimdienstlicher Aktivitäten, begreiflich, angesichts der vielen Amerikaner dort. Skripal wurde vom MI6 hingeschickt, wie es hieß, um die Tschechen zu schulen. Und wer weiß, wie lange das alles schon vorbereitet wurde. Dresden (Putin) und Prag (Dolmetsch-Einsatz) liegen an einer Zugstrecke. Alles nur Zufall?
Andererseits, offenbar lauert russische Desinformation an allen Ecken, gerade wenn es um Hunger in Afrika - Verursacher Putin geht.
So kommentierte die International Crisis Group den mit türkischer Hilfe zustande gekommenen Nahrungsmittel-Deal mit der Ukraine und Russland. Sie äußerte sich auch zu den negativen Wirkungen der EU-Sanktionen auf russische Getreideexporte.
Auch die Versicherungsbranche scheint mir längst unterwandert. Westliche Versicherer schienen überrascht, dass sie künftig russische Schiffsladungen mit Kohle und verschiedenen Düngemitteln (für Drittstaaten) nicht mehr versichern dürfen.
https://www.insurancejournal.com/news/international/2022/08/15/680560.htm
Agrarheute scheint mir auch verdächtig. Dort wurde am 30. August gemeldet, dass die Ukraine die Nahrungsmittel vorrangig nicht nach Afrika schicke, sondern in die Türkei bzw. in EU-Staaten.
https://www.agrarheute.com/management/agribusiness/verkauft-ukraine-getreide-afrika-597271
Wenige Tage später behauptete das auch Putin. Von 86 Schiffen seien – rechne man die türkischen Schiffe heraus - nur zwei in Entwicklungsländer gegangen. Er drohte, aus der Einigung auszusteigen. Prompt folgte der Vorwurf, Russland wolle den globalen Süden gegen den Westen aufbringen.
Glücklicherweise verfügt die Black Sea Grain Initiative über eine Liste, welche Schiffe mit welcher Ladung wohin fahren.
https://www.un.org/en/black-sea-grain-initiative/vessel-movements
Was liegt also näher als ein „Faktencheck“ und siehe: Dieser Putin hat gelogen.
Tatsächlich waren zum Redezeitpunkt (Wladiwostok, 7.9. 22) nur 83 Schiffe bei der Kontrollstelle registriert worden. Von diesen 83 Schiffen hatten 31 Schiffe einen türkischen Bestimmungshafen. Weitere 30 Schiffen hatten Zielhäfen in der EU. 10 Schiffe gaben afrikanische Ziele an, mit klarem Schwerpunkt Ägypten. Der Rest verteilt sich wenige weitere Ziele (Israel, Indien, Iran, China)
Das gleiche Bild ergibt sich, wenn man sich die Bestimmungsorte anschaut für alle Schiffe, die angemeldet sind, aber noch nicht die Kontrollstelle passierten.
Es ist auch nicht so, dass die großen Schiffe nach Afrika gefahren wären und die kleinen in die EU. Immerhin fuhr nur ein Schiff nach Deutschland, reichlich beladen mit Mais, die ASCANIOS (über 60.000 metrische Tonnen). Zum Vergleich: Auch nach Libyen fuhr nur ein Schiff, mit einer Tonnage von 16.500 metrischen Tonnen Mais (GANOSAYA).
Es kann natürlich sein, dass diese Lage durch die Einlösung bestehender Exportvereinbarungen der Ukraine beeinflusst wurde (Ägypten). Es kann sein, dass die Türkei weiterexportiert, aber eins ist klar: In humanitärem Auftrag, zur Lösung des sich verschärfenden Hungerproblems in den ärmsten Ländern waren die allermeisten Schiffe mit Nahrungsmitteln aus der Ukraine nicht unterwegs (und nicht bei allen stimmte auch der angegebene Zielort).
Dafür gibt es eine simple Erklärung. Der Westen versprach, die Sanktionen würden in Russland sehr viel mehr Schaden anrichten als in den eigenen Gesellschaften. Deswegen wurden/ werden ukrainischer Weizen, Mais, Rapsschrot und Sonnenblumenöl auch in der EU gebraucht. Dank der Einigung, die Erdogan vermittelte, ist alles nun dort, wo es gebraucht wird. Die Türkei hat auch profitiert.
Aus diesem Blickwinkel steht der Wirtschaftsaggressor Putin ziemlich dämlich da. Hat der etwa geglaubt, was in der Westpresse zu den ukrainischen Nahrungsmitteln stand, die aus den Silos auf die Schiffe gebracht werden müssten, um afrikanische Kinder zu retten?
Die meisten Sorgen machen mir allerdings die Ungarn. Die haben keinen Scholz, keinen Habeck, keine Baerbock. Die haben nur Orban, diesen gewählten Demokratiezerstörer, und laut Borrell/ Dolmetscherin erfriert demnächst dort auch keiner. Wegen des bilateralen Gasvertrags mit Russland. Was ist daran noch europäisch?
Auf seinem offiziellen Telegram-Kanal ist die gnadenlose "Traditionsbewußtheit" des ukrainischen Präsidenten zu besichtigen - ein Totenkopf am rechten Ärmel (drittes Foto links).
https://t.me/V_Zelenskiy_official/3225
Sprechen wir es doch mal deutlich aus, liebe Frau Erler, auch Sie sind eine "pro-russische Informationsterroristin" und dazu noch eine Querdenkerin, pfui Teufel.
Wie konnte ich das bisher nur übersehen? Aber eben, die Russen sind schlau, sehr schlau.
Sie haben ja schon unseren Hitler auf dem Gewissen, aber das machen wir ja gerade wieder gut mit unseren US- und NATO-Freunden.