Ein Spiegelreporter begab sich zum „Ursprung des Bösen“ – nach Russland.
Ein Kollege wusste zu berichten „da ist etwas Ungutes, das tief in den Leuten sitzt“.
https://www.spiegel.de/ausland/wie-putins-krieg-mein-moskau-veraendert-hat-a-c1317b19-55b6-4b78-8005-45f2d3576138 (Bezahlschranke)
Das Redaktionsnetzwerk Deutschland (Herr Koch) ging dem „Geheimnis der russischen Grausamkeit“ nach. (Spoiler: Herrn Koch trieb keineswegs die Beendigung des aktuellen Krieges um, bei dem es “immer wieder auch vor(kommt), dass die Russen militärische Ziele in der Ukraine angreifen.” Nein, Herr Koch präsentierte ein einziges Inferno unsäglicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit, eben “Putins Vernichtungskrieg”, von denen er erfahren haben will. Dank Herrn Koch erhaschen seine Leser so einen Blick in Dantes Hölle, in der man sich aus wohliger Distanz suhlen kann, voller Abscheu und großer Gewissheit: ja so isser, der Russe…)
Der aktuell im Schloss Wiepersdorf untergekommene russische Schriftsteller Jerofejew hielt als ein Kronzeuge her. Der behauptete, „Russisches Glück – das bedeutet Dominieren.”… „Das russische Glück ist die Verletzung jeder Norm.”
https://www.rnd.de/politik/krieg-gegen-die-ukraine-das-geheimnis-der-russischen-grausamkeit-YH46LYXOWNDEXEQITO5QHPRNVE.html
Zuvor hatte dieser bei RBB24 erklärt:
Die russische Bevölkerung sei "überwiegend asiatisch geprägt", mit einem Faible für klare Machtstrukturen. Für sie sei "Gut und Böse und Licht und Dunkelheit etwas völlig anderes als für die Europäer".
Wer ist dieser Jerofejew, der so zum „Versteher“ und „Erklärer“ des russischen Nationalcharakters gemacht wird?
In einer Rezension zu Erzählungen von Jerofejew 2006, sprach Prof. Henseler die Vermutung an, dass es Jerofejew ganz gezielt um ein Westpublikum ging und argwöhnte, dem Schriftsteller ginge es immer nur um sich selbst.
https://literaturkritik.de/id/10203
In Jerofejews Roman „Moskauer Schönheit“ (1990), den der Spiegel damals rezensierte, findet sich der Satz der Hauptfigur „Ich werde euch ein solches Ungeheuer gebären, das mich rächen wird wie Hitler oder sonst irgendeiner . . . ich will nicht für euch leiden, leidet allein . . . ihr Arschkriecher und du mein geliebtes Volk.“
https://www.spiegel.de/kultur/sprach-orgie-aus-russland-a-d5f56be7-0002-0001-0000-000013502909
Das war ein sehr merkwürdiger Satz für einen Russen, diese Vorstellung eines rächenden Hitlers, angesichts der Millionen von Toten, die der Zweite Weltkrieg über das Land brachte.
Nicht merkwürdig, sondern zutiefst verstörend ist, dass in deutschen Medien -mit Schützenhilfe- ein Russenbild präsentiert und verbreitet wird, dass wir als Deutschlandbild niemals akzeptiert hätten und niemals akzeptieren würden, trotz Ausschwitz, trotz millionenfacher deutscher Kriegsverbrechen an der Zivilbevölkerung in Polen, in der Sowjetunion, in Jugoslawien und, ja auch, an Deutschen.
Ist das bloße Geschichtsvergessenheit oder lauert dahinter etwas sehr viel Trüberes und Gefährlicheres: deutscher Größenwahn und deutsche Verachtung für alles Nichtdeutsche, nunmehr gekleidet ins moderne Gewand von Gotteskriegern für Demokratie und Menschenrechte?
Der Russe, folgt man Jerofejew und jedem, der das nachplappert, ist also „vorwiegend asiatisch“ geprägt. Man sieht sie förmlich vor sich, die asiatische Horde, die nicht weiß, was Licht ist und was Dunkelheit, gut oder böse.
Aber die Europäer, nun ja, wir waren immer anders, schon immer. Wir trugen das Licht und das Gute nicht nur in die letzte Hütte im Wald sondern auch nach Jerusalem und später in die ganze Welt, nach Asien, Afrika und Lateinamerika. Auch unsere Abkömmlinge, die Nordamerikaner, sorgten zunächst auf dem eigenen Kontinent für das Gute und Helle, bis sie die ganze Welt nach ihrem Bild zum Guten umzugestalten trachteten und trachten.
Frau Florence Gaub, stellvertretende Direktorin des Europäischen Instituts für Sicherheitsforschung brachte bei Markus Lanz die These vor, die Russen seien keine Europäer, ihnen gelte der Tod nichts.
Mit dieser Betrachtungsweise wiederum setzten sich Mitarbeiter vom Global Public Policy Institute, Berlin, auseinander. Unter der Überschrift, warum Russland in der Ukraine so brutal vorgehe, schätzen sie ein, dass Frau Gaubs Erklärung zu einfach wäre, zu bequem, regelrecht eine Unterschätzung der russischen Kriegsziele: Die massenhaften russischen Gräueltaten in der Ukraine sind laut diesen Autoren absichtsvoll und sollen die Ukraine vernichten.
Aber, so schreiben die Autoren auch, die Schlacht um die Narrative hat Russland gegen den Westen im Westen verloren.
https://gppi.net/2022/05/23/why-is-russia-being-so-brutal-in-ukraine
Man könnte Frau Gaub für ein schillerndes Beispiel der Meinungsfreiheit in diesem Land, ja in der ganzen EU halten. Schließlich stieß ihre These bei Lanz, aber auch auf Twitter nicht nur auf Zustimmung. Seit Mai 2022 berät Frau Gaub nun den Europäischen Rat und damit ist alles gesagt.
So weit hat es das Global Public Policy Institute, Berlin, noch nicht gebracht, aber es genießt wohlwollende öffentliche Förderung. Man muss leider davon ausgehen, dass die Verfasser axiomatischer Texte wie den genannten (Der Krieg der Russen in der Ukraine ist von massenhaften Gräueltaten geprägt), also Texten, in denen alles abgespult wird, was ungeprüft in die Welt gesetzt wurde, sich weiteren offiziellen Wohlwollens erfreuen werden.
Nun hat Amnesty International in einem Bericht das aufgeschrieben, was die Washington Post schon im März dieses Jahres meldete: Dass es Beispiele dafür gibt, dass ukrainische Soldaten Zivilisten und zivile Gebäude als Schutzschilder nehmen. Kiew reagierte sofort empört. Der ukrainische Präsident wies den Befund von Amnesty International mit dem Argument zurück, man dürfe Angreifer und Verteidiger nicht auf „eine Stufe stellen“ und die deutschen Medien haben auch das kommentarlos nachgebetet. Wo kämen wir hin, wenn sich alle Kriegsparteien an die Genfer Konvention halten müssten?
Schließlich bedauerte Amnesty den verursachten Ärger und die Wut, den der Bericht ausgelöst hatte, änderte aber nicht den Befund und wollte das auch nicht als Weißwaschung der russischen Seite verstanden wissen.
Die Wut kam daher, dass der Bericht von Amnesty am Narrativ ein bisschen kratzte.
Denn das Narrativ lautet: der Russe ist böse, brutal, asiatisch, voller dunkler lüsterner Triebe, und darauf aus, die Ukraine zu vernichten.
Der Ukrainer dagegen ist hell, ganz europäisch strahlend wie der gelbe Weizen und die Sonnenblumen, gewissermaßen der demokratischen Zukunftssonne zugewandt. So wie wir.
So spült dieser unselige Krieg allen Dreck hoch, der sich bisher unter der Maske sogenannter aufgeklärter, “guter“ Europäer und Menschenrechtsverteidiger ansammelte: Völkerhass und Überlegenheitsgefühle.
Wann hat es angefangen, dass die Fahnenträger der Verteidigung der Menschenrechte vergaßen, was deren Sinn und Zweck und Inhalt ist?
Bei den Menschenrechten geht es um nichts weniger als die Menschheit, um Frieden, um Schutz vor Diktatur und Barbarei, um die Entwicklung freundschaftlicher Beziehungen zwischen Völkern und auch darum, dass alle Menschen einander im Geist der Brüderlichkeit begegnen sollten.
https://www.un.org/depts/german/menschenrechte/aemr.pdf
Als Russland zum Mittel des Krieges griff, war klar, dass das Vertrauen zwischen Russland und dem Westen zerbrochen war. Aber damals gab es noch guten Willen, Bereitschaft zu Verhandlungen. Diese Verhandlungen hat der Westen auch unterminiert. Sie sollen nur aus einer Position der Stärke heraus erfolgen, nach dem Sieg der Ukraine über ein ewig geschwächtes Russland.
Nachdem der Kriegsverlauf ist, wie er ist und auch der Wirtschaftskrieg des Westens den erhofften russischen Ruin nicht brachte, wird nun das letzte Schlachtross aufgeboten: Die Dehumanisierung des russischen Volkes, seine Verstoßung.
Wer glaubt, dass unter solchen ideologischen Bedingungen eine Verständigung mit Russland gelingen könnte? Wer glaubt, dass der Westen dadurch einflussreicher würde? Wer glaubt, dass wir uns so retten werden?
Aber die Wahl scheint getroffen: Wir richten uns im nichterklärten Krieg ein und schaufeln immer breitere und tiefere Gräben.
Solange, bis einer durchdreht, einer einmal zu viel etwas falsch einschätzte oder ein IT-Programm sich selbstständig macht.
Aber auch daran wurde gedacht: Warnungen vor einer Konflikteskalation, einem Atom-Krieg? Lächerlich. Bloße Feigheit vor dem Feind oder Russenpropaganda.
Und so belehrte die Stadt New York schon mal ihre Einwohner:
Im Falle eines nuklearen Angriffs bitte Ruhe bewahren, das Innere der Häuser aufsuchen. Keinesfalls im Auto bleiben oder am Fenster stehen.
Fall man schon verstrahlt wurde oder radioaktive Asche abbekam, bitte duschen und abseifen. Ruhe bewahren und auf die Anweisung der Behörden warten.
Kein großes Ding, so ein Nuklearkrieg, nicht wahr?
Ausschwitz war bisher die Grenze der menschlichen Barbarei. Bei einem Nuklearkrieg mit den heutigen Bomben reden wir vom Ende der menschlichen Zivilisation.
Die das Böse mit Inbrunst suchen, um es zu bekämpfen, sehen es in jedem Spiegel.
Ja, es ist wieder soweit. In Deutschland wird das Volk auf Entbehrungen für einen Krieg vorbereitet und da der "Feind" nun einmal das personifizierte und absolut böse ist, gibt es zu seiner Bekämpfung bis zum letzten Atemzug (bzw. Gasmolekül und Ukrainer) keine Alternative. Die barbarischen mongolischen Horden scheinen noch immer zu verfangen, um die diffusen Ängste in westlichen Gesellschaften zu bündeln und für die Ziele der Kapitalbesitzenden nutzbar zu machen.
Achja, und so ein bisschen Atomkrieg ist gar nicht so schlimm. Blitzt mal kurz und dann ist gut - ducken und bedecken (duck and cover) reicht da vollkommen aus (https://www.youtube.com/watch?v=LWH4tWkZpPU).
Ein treffendes, aber "böses" Sonneborn-Zitat aus dem Interview auf Telepolis:
" Hätten wir Russland damals über die Flanke angreifen sollen?
Martin Sonneborn: Wichtig ist, dass wir überhaupt angegriffen haben. Ich gehe davon aus, dass in der aktuellen Situation auch Hitler ganz neu bewertet wird, schließlich hat er gegen die Russen gekämpft. Sieht so aus, als wären Teile der Öffentlichkeit gerade dabei, Willy Brandt auf den Platz von Adolf Hitler zu schubsen und umgekehrt."
Man setze einmal an die Stelle des Begriffes 'Russen' den Begriff (jüdische) 'Israelis' und sofort wird klar, was das eigentlich ist. Aber der Unterschied war schon immer, dass das über Russen gesagt werden durfte, ohne dass es je einen Aufschrei gegeben hätte.
Davon kann Natascha Wodin als Tochter russisch-ukrainischer Zwangsarbeiter aufgewachsen in D und als Russenlusch verfolgt, gefoltert (anders kann man das nicht nennen) von ihren Mitschülern und mit der Geschichtserzählung erwachsen geworden, dass die Russen Deutschland überfallen hätten, ein Lied singen. Diese Bilder waren immer virulent und ich habe sie bei Eltern, Verwandten, bei sonst klugen Freundinnen und allen möglichen Leuten gehört. Eine Zeitlang ein bisschen im Untergrund und nun ist die alte Pestbeule wieder aufgebrochen.
Und beobachtet man beim Thema Antisemitismus eher eine Reaktionsbildung in der Form eines hysterischen Philosemitismus, so darf gegenüber den Russen das Feindbild des russischen Untermenschen fröhliche Urständ feiern. https://de.wikipedia.org/wiki/Reaktionsbildung
Schuldabwehr spielt in beiden Fällen eine Rolle. Damit ist dann "gut" grauenhafte und letztlich selbstzerstörerische Politik zu machen.