Oksana zieht in den Krieg: Wie ein BBC-Film manipuliert, weil er auf dem rechten Auge blind geworden ist
Über Schmerz und Tod in der Ukraine
Am 29.8. veröffentlichte die BBC einen kurzen Film (7 Minuten) über das Leiden und Sterben in der Ukraine.
Quentin Sommerville und der begnadete australische Kameramann Darren Conway haben ihn gemacht.
Conway war bereits an vielen Kriegsschauplätzen der Welt im Einsatz. Für seine Verdienste ehrte ihn die Krone 2014 mit dem „Orden des Britischen Empire“, gut sieben Monate nachdem er mit einem Kollegen „Save Syrias children“ produziert hatte. Als dieser Film von der BBC ausgestrahlt wurde, hatte das britische Parlament bereits gegen einen Militäreinsatz in Syrien gestimmt, wie der Independent damals notierte.
Damals drehten sie offenbar auch in Ost-Aleppo, wo so die Filmerzählung - Kinder auf einem Spielplatz aus der Luft angegriffen worden seien und schwerste Verletzungen erlitten hätten.
Ost-Aleppo stand zu jenem Zeitpunkt unter der Kontrolle von radikalen Islamisten (bis 2016), während der größte Teil von Aleppo unter Regierungskontrolle war. Der Angriff erfolgte aus der Luft und konnte also nur von Assads Armee stammen. Stimmte diese Geschichte, und wieso konnten sich westliche Filmemacher in Ost-Aleppo so frei bewegen? Kurzum, der Film war nicht überall unumstritten, und es gab auch einen Verdacht, dass sich die Filmemacher weit mehr als nur des Schutzes von radikalen Islamisten versichert hätten. Aber das ist alles lange her und so begraben, wie die vielen Ukrainerinnen und Ukrainer, über die Sommerville und Conway in der neuen Arbeit berichten.
Der Film glänzt mit großartigen Bildern und eindrücklichen Texten. Ein Sonnenblumenfeld, ein ukrainisches Klagelied, gesungen von der trauernden, bildschönen Maria und ein großer Friedhof, der viel zu viele neue Gräber hat. Sie sind geschmückt mit Fahnen. Es ist ein riesiges Fahnenmeer. Immer wieder kämen neue Gefallene hinzu. Alte Gräber würden aufgegeben, um neuen Platz zu machen. Auch wenn die Zahl der ukrainischen Verluste sehr wahrscheinlich noch sehr viel höher ist, als suggeriert wird, ist es nur sehr schwer erträglich, diesem Gestalt gewordenen Tod ins Auge zu blicken.
Dennoch, man muss genau hinsehen und genau zuhören. Wer genau hinsieht, das Fahnenmeer betrachtet, für das Angehörige sorgten, auf diesem Friedhof in Lviv, sieht neben vielen ukrainische Fahnen auch schwarz-rote Fahnen. Seit der ukrainischen Nationalistenbewegung stehen sie für vergossenes Blut und Erde – es sind die Farben der ukrainischen Unabhängigkeitsarmee (viel früher gaben diese Farben Liebe und Trauer Ausdruck).
https://www.cbc.ca/news/canada/london/red-black-flag-ukraine-rallies-1.6370202
Der Rechte Sektor fügte den schwarz-roten Farben noch den Trident bei.
Auf dem Gräberfeld flattern auch vereinzelt Fahnen in den ukrainischen Farben mit dem goldenen Löwen darin, einem Symbol, das ebenfalls die ukrainische Unabhängigkeitsbewegung wählte, aber auch der SS-Division Galizien diente. In der Ukraine, so liest man, sieht man das nicht als Nazi-Symbol an. Auch die Wolfsangel, die bei den Neonazis von Asow so beliebt ist, ist auszumachen.
2014 hatte sich die BBC filmisch mit dem extremen Nationalismus in der Ukraine befasst und gefürchtet, dessen Einfluss werde zunehmen: Dessen Anhänger galten als die Helden des Maidan. Auch die Krimereignisse spielten in ihre Hände.
Ihr Ansehen wuchs weiter, auch durch ihren freiwilligen Militärdienst an der Front gegen den abtrünnigen Donbass. Jedes Jahr im Sommer trainierten sie Kinder für den Dienst an der Waffe und schufen „Ordnung“ in deren Köpfen.
2019 drohte Yarosch (Mitbegründer des Rechten Sektors) wahrscheinlich als erster Präsident Zelensky öffentlich: „Wenn er die Ukraine verrät, wird er nicht seine Position, sondern auch sein Leben verlieren.“
Er blieb nicht der einzige, der unverhohlen drohte.
https://www.kyivpost.com/post/6652
Keine Kapitulation vor Russland, so lautete 2019 die Kampfansage der extremen Rechten in der Ukraine. Kapitulation bedeutete, das Minsk II-Abkommen umzusetzen.
Die Filmemacher der BBC wählten drei junge Frauen aus, die Botschaften des Films zu tragen: Maria, Margo und Oksana.
Sie trauern sichtlich und man erfährt, dass jeder in der Ukraine inzwischen einen Angehörigen verloren hätte. Dort winde sich ein langer Pfad des Kummers, den jeder Tag des Krieges mit sich bringt. Mehr Schmerz, mehr Opfer werden folgen, wird gesagt. Es klingt unausweichlich, schicksalsergeben. Eine ganze Generation würde nun den Schmerz des Kummers und des Opfers kennenlernen. Minuten später heißt es dann, für Trauer wäre nach dem Krieg alle Zeit.
Maria betet und singt. Ihr Verwandter wird vermisst.
Margo, die in einem Beerdigungsinstitut arbeitet, weiß inzwischen, dass sie dort am rechten Platz ist. Den schlimmsten Tag ihres Lebens hat sie hinter sich. Sie fand ihren Ehemann unter den eingelieferten Toten. Nun arbeitet sie weiter, um anderen Gefallenen einen Namen und Würde zu geben. Ihr Kummer ist nicht zu übersehen.
Oksana dagegen zieht in den Krieg. Sie hätte mit ihrem Mann einen Pakt geschlossen. Fällt er, wird sie an seine Stelle treten. Er starb im November, diente freiwillig, sie nun auch. Sie wäre zu schwach, nur zu Hause zu sitzen, sagt Oksana. Nur auf dem Friedhof (in Lviv), dort, wo sie zunächst gefilmt wurde, würde ihr klar, dass sie ihren Mann nicht mehr wiedersehen wird. Auch ihr Schmerz geht zu Herzen.
Das BBC-Team begleitete Oksana an die Front, in die Nähe von Bakhmut. Sie ist nun Soldatin im berüchtigten Aidar-Bataillon, das eines der ersten Freiwilligenbataillone in der Ukraine war und in dem sich viele Neonazis tummelten. Wenn man keine kyrillischen Buchstaben kennt, bemerkt man es nicht, denn der Name Aidar blitzt nur ganz kurz auf. Im Film ist es ein ukrainischer Kampfverband unter anderen. Oksana spricht über ihren Mann, mit dem sie fünf gemeinsame Jahre verbanden, über Freiheitsliebe und die Hoffnung, wieder glücklich leben zu können in „unserer Ukraine“. Aber ihre Hoffnung auf Frieden und Sieg seien noch ein weit entfernter Traum, kommentiert der Sprecher.
Sie und Margo, heißt es abschließend, werden das Ihre tun, um das Gedenken der Gefallenen zu bewahren und die Freiheit ihres Landes zu verteidigen. Maria, obwohl ihr Gesang den Film umrahmt, bleibt unerwähnt.
Auf der Website der BBC zum Film, der dort nicht verlinkt ist, wird ein Foto von Oksana in voller Kampfausrüstung präsentiert. Neben dem halbverdeckten Namen Aidar trägt sie den Totenkopf auf der Brust.
https://www.bbc.com/news/world-europe-66581217
Im Film übersieht man ihn beinahe.
Damit ist fast alles über Oksana, fast alles über den besagten Film und leider auch fast alles darüber gesagt, was aus der BBC geworden ist.
Danke für die Auswertung, Petra Erler. Wie der Brief der Ukrainerin zum Weltfriedenstag in Halle mit der Forderung, mehr Waffen liefern bis zum Sieg. Propaganda ohne Ende. Jeder, der in irgendeinem Krieg stirbt, egal ob verblendet folgend oder versehentlich hineingeraten, ist einer zuviel. Die Tränen und Trauer der Mütter und Witwen, Geschwister und Freunde sind kaum nachzuempfinden. Diejenigen, die durch den Krieg gewinnen, kümmert es nicht. Ich hasse alle Kriege aus tiefstem Herzen. Warum sind nicht mehr Menschen aktiv gegen Krieg?
Danke für den analythischen Blick. Ich finde beunruhigend, dass die nationalistischen Bewegungen in der Ukrainne in D nicht mehr kritisch gesehen werden. Ich hoffe mich recht zu erinnern, dass unmittelbar nach dem Maidan diesbezüglich unsere Medien noch kritischer waren. Gab es nicht sogar mal eine Satiresendung zu dem Thema, wie Narrative nach dem Maidan gebastelt wurden? https://www.youtube.com/watch?v=eY6-KsduC2U - Da war die Anstalt noch sehenswert.
Es stellt sich immer wieder die Frage, wie kam es zu dem starken Einfluss rechter nationalistischer Gruppierungen in der Ukraine? Ich habe - leider weiß ich nicht mehr wo und wann - einmal eine Sendung gesehen, in der, Anfang oder Mitte der 1990er Jahre Ukrainer auf der Straße zu ihrer Beziehung zu Russland interviewt wurden. In den Interviews herrschte der Grundtenor, dass man ja quasi Familie sei, verbunden und diese Verbundenheit auch beibehalten werden solle, weil sie einen stärke. Tja...und dann...- Wo war der Kipppunkt? Und wodurch erzeugt? Mal abgesehen von vielen politischen "Leichen in Kellern" und vielen während der Sowjetzeit unterdrückten Themen. das hatten die Leute ja auch in den 1990ern gegewärtig. Was ist also und wann udn warum passiert? Die Frage stellt sich mir deshalb immer wieder, weil das gängige Narrativ zu laut ist und die Erinnerungen bzw. die historischen Kontexte übertönt. Auch bei mir. So habe ich meine Ahnungen und meine Wissensfetzchen - aber brauche immer wieder den klärenden Geist solcher Beiträge hier. Dankeschön.