Am 18. April 2019 führte der heutige ukrainische Präsident ein langes Interview. In diesem Interview wurde er auch gefragt, wie er zur Ent-kommunisierung steht und dazu, dass Alleen nach Stepan Bandera benannt werden.
Seine Antwort:
„Im Allgemeinen habe ich eine normale Einstellung zur Ent-kommunisierung. Die Gesellschaft hat gewählt, und das ist in Ordnung. Es gibt unbestreitbare Helden. Stepan Bandera ist für einen gewissen Prozentsatz der Ukrainer ein Held, und das ist normal und cool. Dies ist einer jener Menschen, die die Freiheit der Ukraine verteidigt haben….“
(Im späteren Verlauf plädiert er für andere Helden)
https://www.rbc.ua/rus/news/vladimir-zelenskiy-nam-vygodno-raspustit-1555546435.html,
(ab Minute 10)
Zelensky gab in diesem Interview „nur“ wieder, was in der Ukraine seit 2014 offiziell gedacht wurde.
Es ist deshalb auch überhaupt nicht richtig, zu behaupten, Botschafter Melnyk wäre nach seinen Äußerungen bei Jung und Naiv „zurückgepfiffen“ oder vom ukrainischen Außenministerium kritisiert worden. Kiew hat es lediglich als „persönliche Meinung“ hingestellt, weil es sich im Moment keinen offenen Konflikt mit Polen oder Israel leisten kann und will.
Zufälligerweise aber deckt sich die persönliche Meinung des Herrn Botschafters mit der persönlichen Meinung seines Präsidenten und mit der vom ehemaligen Präsidenten Poroschenko offiziell auf den Weg gebrachten Erinnerungskultur der heutigen Ukraine.
https://www.bpb.de/themen/europa/ukraine/194637/analyse-stepan-banderas-nachleben-wird-gefeiert/
Hinzugefügt werden muss, dass Bandera und Co. nicht nur während des Zweiten Weltkriegs „eine Terrorherrschaft“ zu errichten suchten, wie die Vorläuferorganisation der CIA 1946 einschätzte.
Leute wie er waren nach dem Zweiten Weltkrieg gefragte Instrumente für geheimdienstliche Operationen der USA und Großbritanniens gegen die Sowjetunion. Aber selbst den Amerikanern war Bandera damals nicht ganz geheuer.
https://archive.org/details/ColdWarAlliesCIAsRelationsWUkrainianNationalists
Für uns Deutsche heute stellt sich jedoch die Frage, warum wir es für normal halten, dass ein Verehrer eines Polen-, Russen- und Judenhassers und Massenmörders in diesem Land als Botschafter eine Bühne hat. Statt über neue deutsche Größe zu schwurbeln, wäre Rückgrat angezeigt.
"Für uns Deutsche heute stellt sich jedoch die Frage, warum wir es für normal halten, dass ein Verehrer eines Polen-, Russen- und Judenhassers und Massenmörders in diesem Land als Botschafter eine Bühne hat."
Weil es den derzeitigen Interessen der deutschen Führung als Erfüllungsgehilfe US-amerikanischer Machtpolitik dient.
Unvergessen ein Abend bei einer älteren Jüdin Anfang der Neunziger Jahre in Wilna. Der Vater war bei Kriegsbeginn sowjetischer Offizier und sie und ihre Mutter wurden von den Deutschen überrollt. Die beiden fanden sich in der besetzten Ukraine wieder, wo sie sich monatelang unter schrecklichen Bedingungen versteckt hielten. Von den Ukrainern war keine Hilfe zu erwarten. Im Gegenteil. Die hassten die Juden und die Sowjetmacht, die für sie das gleiche waren.
Schließlich organisierte die Mutter irgendwie "arische" Papiere und die beiden lebten dann an einem Garnisonsort der Wehrmacht und arbeiteten als Küchenhilfen.
Ich fragte sie, ob sie jemals an jenen Ort zurückgekehrt sei. Sie sagte, diesen Ort gäbe es nicht mehr. Die Einwohner habe man alle als Kollaborateure erschossen. Sie selbst und die Mutter hatten durch ein Wunder überlebt. Sie erstaunte mich auch durch die Bemerkung, alle hätten über die Greueltaten der sowjetischen Geheimpolizei Bescheid gewusst. Die Enthüllungen der Glasnostzeit seien nur das Aussprechen schon lange bekannter Wahrheiten.
Bei alledem darf man nicht vergessen, dass wenige Jahre vor Einmarsch der Deutschen in die Ukraine Millionen absichtlich in den Hungertod getrieben wurden. Bandera ist genau die Rächerfigur, die sich wohl viele Ukrainer damals erträumt haben. Eine unvergleichliche Brutalisierung hat eine Figur wie Bandera hervorgebracht und sowohl die russischen als auch die ukrainischen Versionen des zweiten Weltkriegs sind auf jeweils auf ihre Weise nichts als beschönigende Legenden. Geschichte ist kompliziert und es gibt kein rein Gutes und Böses. Der Riss geht durch jedes einzelne Herz. Schlimm ist, wie in Ost und West die wahren Lehren dieser schrecklichen Vergangenheit vergessen werden.