Heute, am 11.11. 11 Uhr 11, beginnt die närrische Zeit. Schon ein paar Tage früher ließ mein Partei-Generalsekretär den Jecken raus und schickte auch mir eine Email. Im Betreff stand: „Damit morgen ein guter Tag wird“. Wenn meine Partei mir verspricht, dass morgen ein guter Tag wird, bin ich ganz Ohr.
Dann aber dachte ich, dass jeder morgen einen guten Tag haben sollte, auch und gerade heute. Deshalb entschloss ich mich, die schönsten und wichtigsten Parteierkenntnisse, die mir mein General zuschickte, mit möglichst vielen zu teilen. So werde ich bestimmt die allermeisten neuen Mitglieder werben, gewinne die vom General verkündete „Challenge“ und viele gute morgige Tage.
Bekanntlich sind wir in der Zeit nach der „Zeitenwende“, und das führt dazu, dass am „Debattenkonvent“ „Speaker*innen“ teilnahmen.
Das rieb mir die großartigen Möglichkeiten des Parteizeitalters der Anglizismen (und weiterer Weltsprachen) direkt unter die Nase. Mein Kopf wurde regelrecht durchflutet von den vielen möglichen Bildern, Szenen und Gefühlen, die aus gendersensibler Mehrsprachigkeit entstehen könnten.
Doch dann fielen mir die Franzosen ein mit ihrer Manie, alles zu übersetzen und scharf nach Geschlechtern zu unterscheiden. Kein Wunder, dass „le couple“ sich so fetzt. Aber „vielleicht gibt es ja noch ein Uns, etwas, woran man anknüpfen könnte, ein weiteres Rendez-vous, eine Geschichte, die wir gemeinsam erfinden…?“
Und schon war mein Tag gut.
Er sollte noch besser werden, je länger ich mich in die vierzehn Seiten Beschluss vertiefte, der die „Missionen“ vorstellte, die sich meine Partei hart erarbeitet hat, einschließlich des „missionsorientierten“ Staates.
So werden wir alle zu noch besseren Anglosachsen, denn im Englischen macht „mission“ (so wie Tom Cruise in Bestform) richtig was her.
Wie auch immer, ein bisschen Sendungsbewusstsein kann ja nicht schaden, wenn es um die „soziale Demokratie“ geht.
Sogar eine „mission impossible“ hat sich eingeschlichen: Durch den Verweis auf „feministische Außen- und Entwicklungspolitik“.
So sus, so base, aber auch so trumpeten! [1]
Das war bestimmt der Mützenich.
Ich habe extra im englischsprachigen „toolkit“ (veröffentlicht auf der Website der Böll-Stiftung) nachgelesen: Solch eine Politik ist eine aktive Politik zur Friedenserhaltung oder -schaffung. Sie will Demilitarisierung, bedient sich diplomatischer Mittel, zielt auf Konsens und Konfliktreduzierung und fühlt sich dem empathischen Dialog verpflichtet.
Kurzum: „All we are saying, is give peace a chance….”
Aber das fast nur nebenbei.
Auf den Respekt kommt es an „den alle gleichermaßen in der Gesellschaft und vonseiten des Staates erfahren sollen, egal woher sie kommen, ob sie mit oder ohne Behinderung leben, welche Tätigkeit sie ausüben, wie sie leben oder wen sie lieben.“
Soviel Mut zur Wahrheit, dachte ich. In dieser gottlosen Zeit ist Respekt vor Andersdenkenden längst nur ein Relikt. Also ab in den Orkus mit den verschiedenen religiösen und ideologischen Opiumderivaten fürs Volk. Respektvolles Miteinander-Kiffen tuts auch.
Ich gestehe, bei “egal,…wen sie lieben“, bin ich dann aber doch ein kleines bisschen, ganz altmodisch, zusammengezuckt. Deshalb werde ich nochmals „Lolita“ studieren und mir einen Seelenklempner besorgen, damit ich demnächst allergrößten Respekt vor bestimmten Herstellern und Konsumenten von Kinderpornographie haben kann. In meinem Alter ist das eine echte Anstrengung, und mein guter Tag drohte zu kippen.
Aber die Süddeutsche zog mich fix wieder aus dem winzigen Tief. Die schrieb: Die „alte Tante“ SPD ist jung und frisch. Das hörte ich gern, selbst schon fast an der Schwelle, wo das Leben anfängt. Aber die vielen 159-Jährigen in diesem Land sollten sich das nun auch hinter die abgefressenen Ohren schreiben, sich aus den Gräbern buddeln, und auf klappernden Knochen ins Berghain flitzen, statt weiter die Erde zu verseuchen. Vergesst die „green transition“, die vielleicht noch dem einen oder anderen Wurm gefällt, „just transition“ ist jetzt angesagt. Also avanti popolo*innen!
Meine Partei ist auch tief bewegt: Wegen des Schicksals der Verbraucherinnen und Verbraucher in den sich wandelnden Zeiten. Schon auf Seite 3 stellte sie fest:
„Als Verbraucherinnen und Verbraucher sind wir ungleich betroffen von Markt- und Preisveränderungen im Zuge der Transformation. Der reine Verzicht oder die individuelle Kontrolle von Konsum ist nicht für alle Bevölkerungsschichten eine leistbare Alternative.“
So wie mein Generalsekretär im Mitgliederbriefchen war ich umgehend „wieder mal richtig stolz“ auf meine Partei, den „spannendsten Debattenort“ des Landes. Wenn es um Märkte geht, verwandeln wir uns in Konsumenten. Aber vor allem: Was für eine glänzende politische Abgrenzung zum fröhlichen Konzept: Du wirst nichts haben und glücklich sein.
Nicht jeder kann sich frei entscheiden. Da muss der „missionsorientierte“ Staat etwas mithelfen, um Verzicht und Kontrolle zu schaffen.
Jedenfalls wurde mir klar, dass sich meine Partei vor lauter Neu-Mitgliedern gar nicht mehr retten können und aus allen Nähten platzen wird angesichts dieser großen gesellschaftlichen Vorstellungskraft. Was mich durchaus auch besorgte: Sind wir dabei, sehenden Auges in ein Ein-Parteiensystem zu schlittern, nach der Zeitenwende?
Ach was, beruhigte ich mich, auf ein paar rückständige Geister im Land kann man immer rechnen. Die werden den düsteren Charme dieser Vision nicht erkennen, und schon war mein Tag besonders gut.
Aber weil ich gelegentlich zur Meckerei neige, und das muntere Durcheinanderpurzeln von EU und Europa auch gegenüber dem europäischen Kiew für respektlos halte (muss man dem Melnyk solche Vorlagen schießen?) , beschäftigte ich mich lieber mit der Überlegung, wie es denn wäre, wenn nun dieses “Europa sein Erweiterungsversprechen einlöst”. Erst einmal bat ich den Globus um Auskunft, wem diese vorwitzige Heimatkontinent*in was versprach. Sie wird doch wohl nicht schwanger werden wollen von Asien?
Trotzdem ärgerte es mich, dass ich die vielen Seiten auf einmal gelesen hatte. Das hätte ich mir aufteilen können.
Ein Seitchen pro Tag wären vierzehn gute Tage gewesen, nur ein halbes, und schon wäre fast der ganze Monat gut gelaufen.
So bleibt mir nur, auch diese Erkenntnis heute an Sie weiterzureichen, da die politischen Verheißungen der parteilichen Neuzeit öffentlich zugänglich sind. Unter „Debattenkonvent“, diesem „grandiosen” Ereignis werden Sie fündig. Schöne Fotos sind auch da.
Ich garantiere einen weiteren guten Tag beim Nachdenken darüber, ob demnächst auch ein „Schweigekonvent“ organisiert werden wird.
Aber bitte vergessen Sie nicht, inmitten all dieser guten Tage, die nun auch vor Ihnen liegen, meinen Namen bei Ihrem Parteieintritt anzugeben. Ich möchte doch so gerne die „Challenge“ gewinnen. Worin der Preis genau besteht, weiß ich nicht, aber mit ein bisschen Glück und Ihrer Unterstützung schenkt mir meine Partei gleich 365 „morgige“ gute Tage. Das fände ich schon grandios.
Allein, wenn ich es mir so recht überlege: Grandios ist zwar gut und schön, aber auch das lässt sich steigern.
Warum sich also bescheiden?
So erlag ich der Verführung dieses „Sound of Silence“.
[1] In etwa: So verdächtig, so außerordentlich, so folgenlos Versprechungen machend
Hallo Frau Erler, der Text ist mal wieder sehr erfrischend, auch weil es Ihnen gelingt, bissige Ironie so schön zu verpacken. Außerdem haben Sie nach meinen Vorstellungen einen ausgezeichneten Musikgeschmack. Vielen Dank für Ihre Arbeit.
Karl-Heinz Reineke
Ich fühle mich jetzt so inspiriert und gut, ich könnte Gänseblümchen ausreißen. Oder vielleicht besser nicht - wer weiß, ob das nicht der "green mind" widerspricht wegen Umweltvandalismus und so?
Auf jeden Fall viel Erfolg, beim Gewinnen der Challenge. Un d wenn wir hier schon einen musikalischen Post haben, mir fallen zwei einigermaßen passende Stücke spontan ein:
- Don't Worry Be Happy (https://www.youtube.com/watch?v=d-diB65scQU)
- und inspiriert von der Überschrift She is Young, She is Beautiful, She is Next (https://www.youtube.com/watch?v=IGqeyQhBPMI)
Viele glückliche Grüße :-)