Teil V
Die Debatte über eine Impfpflicht hat auch hierzulande Fahrt aufgenommen. Das ist allzu verständlich. Pandemie macht müde, gereizt, krank an Körper und Geist.
Sie macht hungrig nach Wiedergewinnung einer Normalität, die so lange selbstverständlich war. Da greifen viele nach jedem Strohhalm. Die meisten glauben, und das versichern auch die Meinungsmacher und Entscheidungsträger, dass mit einer immer wiederkehrenden Impfung aller, notfalls gesetzlich erzwungen, „alles gut“ wird.
Auch ich bin der Pandemie überdrüssig. Noch verdrossener macht mich allerdings, dass es keine Anzeichen bei den Pandemiemanagern gibt, Fehler einzuräumen und sich bei der Bevölkerung dafür zu entschuldigen, dass das Impfversprechen falsch war.
Ich will mich heute auch nicht dazu äußern, was ich davon halte, wenn über Impfzwänge geredet wird für Impfstoffe, die keine reguläre Zulassung erhalten haben, deren Langzeitfolgen man nicht kennt und die von nun an im Turnus von 6 bis 9 Monaten immer wieder neu an alle verabreicht werden sollen, ohne jede wissenschaftliche Prüfung und offenbar völlig unterschiedslos nach Altersgruppen.
Ich will heute vor allem darüber nachdenken, ob eine solche Massenimpfung uns aus der Pandemie herausführt.
In der Debatte um Impfpflichten muss man verschiedene Ebenen unterscheiden:
Die erste Ebene
betrifft die Frage, ob die bei uns vorhandenen Impfstoffe einen Beitrag zur individuellen Gesundheit leisten, also helfen, schwere Fälle und Tod einzuschränken. Das muss man in Bezug auf die Älteren unter uns, aber auch auf gesundheitlich fragile Menschen bejahen. Allerdings gelingt es mit den derzeit bei uns verfügbaren Impfstoffen sehr viel weniger gut als anfangs postuliert.
Die zweite Ebene
betrifft die Frage, ob sich durch die massenhafte Impfung Übertragungsketten unterbrechen lassen und dadurch die Pandemie beendet wird.
Dazu äußerte sich Professor Drosten im 4. Podcast des NDR im März 2020:
„Die Frage ist, wie lange dauert die Pandemie? Die Pandemie an sich ist also eine Verbreitung, die nicht durch Immunität gestoppt wird, sondern einfach nur durch Mangel an Übertragungsgelegenheiten, die das Virus nutzen kann. Es gibt eine Möglichkeit, das zu stoppen und das ist: Immunität aufbauen.“
Die Sprache ist zwar ein bisschen holprig, aber im Kern erklärte Drosten: Wir beenden die Pandemie, wenn das Virus immer weniger Wirte findet und sich deshalb nicht mehr erfolgreich vermehren kann.
Theoretisch gibt es nur zwei Wege, die von Drosten beschriebene Immunität aufzubauen: durch Impfungen und/ oder durch Infektion, die erfolgreich bewältigt wird.
Das politische Impfversprechen zum Jahresbeginn lautete auf Immunität. Genau das aber schaffen die verfügbaren Impfstoffe nicht; sie unterbrechen Übertragungsketten nur punktuell und allenfalls zeitweise. Diejenigen, die derzeit von Testpflichten für Geimpfte und Genesene sprechen (G2+), wissen das auch.
Ausweislich des RKI (2.12. 21) handelte es sich in den letzten 4 Wochen bei 50% der symptomatisch Erkrankten in der Altersgruppe von 18-59 um Impfdurchbrüche, in der Altersgruppe 60+ betrug der Wert 71,3%. Sogar bei Kindern ab 12 Jahre kam es zu Impfdurchbrüchen, wenn auch nur um die 7%. Das bedeutet, dass derzeit relativ mehr Ungeimpfte symptomatisch erkranken, aber es ist keineswegs so, dass Geimpfte nur Statisten wären. Alle können Opfer des Virus werden.
Ziel der Booster ist es, die schwindende Impfwirkung, die sich nicht mehr wegleugnen lässt, nun wieder „aufzufrischen“. Ziel der Neudefinition des Impfstatus ist es, alle in Abständen immer wieder neu zu impfen, ohne wissenschaftliche Klarheit darüber, was das für Risiken birgt. Das Einzige, was man Sicherheit dazu sagen kann, ist, dass es die Impfstoffhersteller entzückt, wenn die Kassen verlässlich klingeln.
Die dritte Ebene
ist globaler Natur. Die Menschheit beendet diese Pandemie nur gemeinsam. Das klingt zwar trivial, lädt aber zu folgendem Gedankenexperiment ein:
Da auch hierzulande Impflichten erwogen werden, muss man fragen, was wäre, wenn sie weltweit etabliert würden und es gelänge, in einer ganz kurzen Frist alle Menschen auf der Welt mit den verfügbaren Impfstoffen zu impfen? Was natürlich alle 6 bis 9 Monate zu wiederholen wäre.
Und sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende…
Impfungen und Virusmutationen
Im Sommer diskutierte der MDR, ob eine nur halb geimpfte Gesellschaft der Entwicklung von Virus-Mutationen Vorschub leistet. (Man sollte dabei im Hinterkopf behalten, dass zu dem Zeitpunkt noch viele der irrigen Annahme waren, dass durch die Impfungen ein hohes Maß an Schutz vor Infektion bzw. Übertragbarkeit des Virus entstünde.)
Einer der vom MDR befragten Experten, Prof. Marko Trilling, Virologe am Universitätsklinikum Essen, sagte damals Folgendes:
"Eine Situation, in der die Bevölkerung nur teilweise geimpft ist, birgt leider eine spezielle Gefahr, weil sich das Virus in der ungeimpften Gruppe vermehrt, wobei es zufällig immer wieder zu geringfügigen Änderungen des Virus kommt." In dem anderen Teil der Bevölkerung 'teste' das Virus, ob die Veränderungen ihm helfen, Genesene oder Geimpfte zu infizieren. "Noch schlimmer wird die Situation, wenn die Geimpften durch unvollständige Impfungen auch nur eine unvollständige Barriere darstellen." Damit 'dressiere' man das Virus geradezu hin zu einer Umgehung von Immun- und Impfantworten.“
https://www.mdr.de/wissen/corona-covid-mutation-immunflucht-risiko-impfung-impfmuedigkeit-100.html
Genau diese Situation besteht heute in Deutschland. Wir haben „unvollständige“ Impfungen bei einem geimpften Bevölkerungsteil von knapp 70%. Wir haben eine sehr hohe Viruslast. Das heißt, um bei den Worten von Trilling zu bleiben – der vorherrschende Bevölkerungsteil „dressiert“ das Virus regelrecht, den Impfschutz zu umgehen. Aktuell ist ein kleinerer Bevölkerungsteil weiter ungeimpft, und in diesem Bevölkerungssegment wütet das Virus (und kostet dort unter den Älteren verhältnismäßig mehr Leben), aber von dieser Kohorte wird weniger Druck auf das Virus ausgeübt, gezielt zu mutieren.
Die Einzigen, die in der aktuellen Phase der Pandemie in Deutschland die echten Widerständler gegen das Virus sind, sind Genesene und diejenigen unter uns, die das Virus ohne Probleme abschütteln können, also gesunde Kinder, Jugendliche - mehrheitlich ungeimpft – und junge Erwachsene. Wir sollten unendlich dankbar sein, dass das Virus für diese Bevölkerungsgruppen (noch) keine Gefahr darstellt.
Impfungen und Fluchtvarianten
Das bringt mich zum Bayrischem Rundfunk, der sich unter anderem mit der Entstehung von Fluchtvarianten durch Virusmutationen auseinandersetzte.
Dort steht im Teil „Was sind Escape-Varianten oder Flucht-Varianten?“ das Folgende:
„Andere Mutationen verändern das Virus hingegen so, dass es dem menschlichen Immunsystem zumindest teilweise entkommen kann. Das Ergebnis sind sogenannte Escape- oder Flucht-Varianten. Sie können auch Menschen infizieren, die bereits eine Infektion mit einer früher kursierenden Variante von SARS-CoV-2 hinter sich haben oder dagegen geimpft sind.
Virusvarianten, die das nicht können, sind gegenüber den Escape-Varianten im Nachteil, besonders, wenn in einer Bevölkerung schon viele Menschen geimpft oder genesen sind. Dann steigt der Selektionsdruck auf das Virus und die Escape-Varianten setzen sich durch. Wenn sich gleichzeitig aber auch noch viele Menschen infizieren, hat das Virus viele Möglichkeiten, zu mutieren und weitere Eigenschaften zu entwickeln, die ihm eine Flucht vor dem Immunsystem erlauben. Das bedeutet: Auch wenn ein großer Teil der Bevölkerung geimpft ist, wäre es fatal, alle Kontaktbeschränkungen und andere Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie komplett aufzugeben. Das Virus wäre dann gleichzeitig unter dem Druck, sich so zu verändern, dass es dem menschlichen Immunsystem entkommen kann, hätte aber auch in vielen Infizierten die Gelegenheit, das zu tun und sich anschließend weiterzuverbreiten.“
MDR und BR haben meines Erachtens ganz sauber aufgeschrieben, was bekannt ist über den evolutionären Drang eines Virus einerseits und den menschlichen Versuch andererseits, sich des Virus zu erwehren. Bei Impfungen wie gegen Masern wird Immunität erzeugt, die hoch genug ist, den Geimpften und die Gesellschaft zu schützen. Im Fall der Grippe wird im Herbst geimpft, also bevor das Virus (wieder) über uns herfällt.
Was also ist das Ziel einer Impfung aller inmitten einer Pandemie mit Impfstoffen, die keine Immunität herstellen? Ich kann schlicht nicht erkennen, dass auf diesem Weg eine Art „friedlicher Koexistenz“ mit dem Virus eingegangen werden kann.
Das Virus, und das sagen die genannten Beiträge ganz deutlich, wird sich nicht einfach geschlagen geben; es wird alles tun, um zu „überleben“. Wir helfen ihm sogar dabei, weil die Impfungen zwar individuell schützen, aber die Infektion und Übertragung nicht verhindern können. Delta war bereits in der Lage, den Impfschutz partiell zu knacken. Dieser Wahrheit sollten wir uns stellen.
Nun ist Omicron in der Welt. Glaubt man der BBC, ist nicht mehr auszuschließen, dass Omicron ein Immunfluchtpotential hat, das noch größer ist als das der Delta-Variante.
https://www.bbc.com/news/health-59520945
Omicron kann, laut ersten Berichten, Genesene infizieren, aber hat auch schon gezeigt, dass es den Impfschutz einer dreifach geimpften Person (erster US-Fall) durchbrechen kann. Bleibt die Frage, ob der individuell höhere Impfschutz gegen ein schweres Erkrankungsrisiko erhalten bleiben wird. Man kann es für die Älteren unter uns nur hoffen.
Aus den wenigen mageren Erkenntnissen zu Omicron folgt meines Erachtens zwingend, dass die nächste Pandemiewelle nicht fern ist, sollte Omicron zur dominanten Virusvariante aufsteigen. Wie der Kampf zwischen Delta und Omicron ausgehen wird, entscheidet sich allein dadurch, welche Variante stabiler ist und das Potential hat, die natürliche Immunität und die verimpfte „Immunität“ besser zu unterlaufen.
Die Marek-Krankheit
Dass Virusmutationen und unvollkommene Impfungen miteinander ringen, weiß die Wissenschaft seit Jahrzehnten durch die Marek-Krankheit (Virusinfektion bei Hühnern). Zur Bekämpfung dieser Krankheit gehören Impfungen zum Programm, die allerdings weder die Infektion noch die Übertragung verhindern. „Trotz Generationen von Impfungen entwickelt sich das Virus kontinuierlich in Richtung einer höheren Virulenz“, beschrieb die Südafrikanerin Andelé Marie Conradie in ihrer Dissertation das Dilemma von Jahrzehnten (Freien Universität Berlin, 2021).
https://refubium.fu-berlin.de/handle/fub188/30410
Unzulängliche Impfstoffe, fehlende Therapien und “die Wissenschaft”
Die uns derzeit zur Verfügung stehenden Impfstoffe gründen sich auf das Spike-Protein des originalen Virus, von dem man davon ausgeht, dass es aus Wuhan stammt. Diese Virusversion hat die Welt längst verlassen und neue Varianten treiben die Pandemie. Kurz: Das Virus hat sich bereits mit blitzenden modernen Waffen ausgestattet, während uns eingeredet wird, wenn wir in einer großen gesellschaftlichen Kraftanstrengung noch einmal unsere alten verrosteten Schwerter zücken, dann würden wir als strahlende Sieger vom Schlachtfeld ziehen.
Mehr noch, wir haben offenbar kein Interesse, zu erfahren, ob andere, bei uns nicht zugelassene Impfstoffe besser geeignet wären, Infektion und Übertragung signifikant zu verhindern. Wir feuern nicht frühzeitig mit therapeutischen Kanonen auf das Virus. Das ist auch deshalb ein fataler Fehler, weil die Bereitstellung frühzeitiger Therapieangebote die große Angst in unserer Gesellschaft vor diesem Virus abschwächen würde. Wer Angst hat, wird nicht nur zunehmend irrational, er wird auch leichter krank.
Ich denke, um diesem Virus beizukommen, brauchen wir radikal neue Impfstoffe, die volle Immunität schaffen oder die Virusvermehrung effektiv unterbinden oder das Virus so bedrängen, dass es sich zu Tode mutiert. Ob das gelingen kann bei einem derartigen Virus, weiß ich nicht. Aber es muss wenigstens versucht werden und weltweit forschen Wissenschaftler dazu. Schönheitsoperationen an den bei uns vorhandenen Impfstoffen, wie sie derzeit Biontech/Pfizer in Aussicht stellen, werden nicht die Wende bringen.
Wir können uns auch nicht wünschen, dass das Virus auf andere Säugetiere ausweicht, denn es hat diese Fähigkeit, siehe Nerze in Dänemark. Nebst Wildbestand
(in Iowa haben sie sowohl infizierten Rotwildbestand, als auch genesenen gefunden; https://www.npr.org/sections/goatsandsoda/2021/11/10/1054224204/how-sars-cov-2-in-american-deer-could-alter-the-course-of-the-global-pandemic?t=1638704154854)
haben wir Haustiere und landwirtschaftliche Nutztiere. Ich will mir garnicht ausmalen, was passieren würde, wenn das Virus in die Massentierhaltung einbrechen sollte.
Wir können natürlich hoffen und beten, dass das Virus in seinem Drang, in der Welt zu bleiben, mit jeder Mutation immer harmloser wird oder sich selbst zu Tode mutiert. Aber darauf würde ich nicht wetten wollen, auch wenn mir der Gedanke sehr gefällt, dass das Virus uns die Bürde nimmt, die wir anscheinend unterschätzen.
Um es auf den Punkt zu bringen: ich denke, bevor man über die Impfung aller sinniert, sollte nicht nur verfassungsrechtlich und ethisch sondern auch wissenschaftlich sehr sorgfältig abgewogen werden, welche gesellschaftlichen und gesundheitspolitischen Vorteile und Risiken eine 100%-Impfstrategie mit unvollkommenen Impfstoffen erzeugt.
Es ist ja unübersehbar geworden, dass die aktuellen Wortführer hierzulande nicht dem Virus den totalen Krieg erklären, sondern ihren Kampf inzwischen auf Menschen unter uns fokussieren: Auf Ungeimpfte (und in dieser Gruppe stecken die Kinder und Jugendlichen mit drin), die angeblich schuld sind an der pandemischen Misere; auf alle und jeden, wenn auch nur ein Millimeter vom herrschenden Dogma „abgewichen“ wird. Was da an Dreck, Boshaftigkeit und Gemeinheit ausgegossen wird, sollte jeden zutiefst erschrecken. Es ist, als wüte die Heilige Inquisition unter uns, die als „die Wissenschaft“ daherkommt. Damit muss Schluss sein. Sonst verlieren wir möglicherweise alle gemeinsam jede Schlacht gegen das Virus. Diese Option ist leider nicht vom Tisch.
Liebe Petra Erler. Wieder Danke. Du hast eine feine Art, die Komplexität der Situation zu durchdringen und für uns ahnbar zu machen. Du wägst die Wahl der Mittel gut ab mit allem, was bislang über die Mittel und das Virus bekannt ist und zeigst auf die Leerstellen, auf das Versäumte. Ohne zugleich im Ton der hochfahrenden Stimmung aufzusitzen. Vielmehr bleibst Du auf Deinen Füßen und gehst neben dem Laut und hochbrodelnden Strom her. Wahrnehmend. Analysierend. Hörend. Lesend. Wie gut, dass Du Deine Beobachtungen und Analysen jetzt hier aufschreibst. ich habe diesen Text hier heut auf Facebook gepostet, von wo ich mich seit einiger Zeit sehr zurückgezogen habe. Und weißt Du, das Posten selbst und das schreiben eines kleines Textes dazu hat mir schon Angst gemacht. Katastrophische Szenen stellten sich in meiner Phantasie ein, darüber, wie hochfahrend andere reagieren könnten, oder ob mir derlei etwa zum Nachteil gereichte. Solche Momente sind das leider nur zu gut bekannte Echo diktatorischer Vorgänge in einer Gesellschaft. Es gab zwischendurch Jahre, in denen ich mich offen und ebendig äußern konnte. Jetzt legen sich Zeilen erst einmal quer unter der Last der Angst und Bange, bevor ich sie schreibe, oder, oft genug, auch nicht schreibe. Und wie Du sagst, Angst macht krank. Darum raus aus ihr. Trotzdem achstam bleiben. Aber atmen und friedlich werden. Das ist mein Gebot für mich in dieser Zeit. Sei herzlich gegrüßt und bedankt. Jana Weinert