Der Blutadler der Wikinger und was er mit uns zu tun hat
Weil Kriege geführt werden müssen, im Gaza-Streifen, in der Ukraine
Es ist unklar, ob die Wikinger den „Blutadler“, eine extreme Form der Todesstrafe praktizierten. Er soll wie folgt funktioniert haben: Die Rippen wurden mit einer Axt aufgebrochen, rechts und links neben dem Rückgrat, ohne dieses zu verletzen. Dann wurden sie nach außen gewendet. Zudem wurden die Lungenflügel nach außen geklappt. Als hätte ein so gefolterte Mensch Flügel. Diese tödliche Prozedur soll für große Feinde reserviert worden sein, und dem Führer der Sippe oblag es, sie auszuführen. So erwies man, wenn auch aus heutiger Sicht völlig verquer, dem Feind Respekt. In der Serie „Vikings“ spielte diese Form der Hinrichtung mehrfach eine Rolle, so dass es schon fast egal ist, ob es den „Blutadler“ tatsächlich gegeben hat. Nun gibt es ihn, in der Phantasie der Serienschöpfer und im Gedächtnis derer, die „Vikings“ sahen. Hunderte Millionen auf der ganzen Welt wurden zu Serienfans. Auch auf Youtube kann man ohne Altersbeschränkung dem Ritual des „Blutadlers“ zuschauen.
Offenbar hat es etwas Bezwingendes, den Hauptakteuren zu folgen, die völlig ohne schlechtes Gewissen metzeln, Menschen und Güter rauben und brandschatzen, immer im Vertrauen darauf, sie handelten im Auftrag der Götter und verdienten sich so ihren Platz in Walhalla. Wenn man nicht wüsste, dass die Wikinger in Europa wie Terroristen agierten, sie eine echte und hochgefährliche Plage des frühen Mittelalters waren, man könnte diesen rauen Menschenschlag fast sympathisch finden, ihm die vielen Untaten verzeihen. Schließlich ist es ja nur eine Serien-Fabel.
Bleibt davon etwas hängen, im Unterbewussten, wenn wir mit aktuellen Meldungen über Krieg und Terror konfrontiert werden? Klingt etwas nach, wenn uns dieselbe Gewissheit -quasi in göttlichem Auftrag zu handeln- in heutigen politischen und medialen Erklärungen begegnet, diese reine Überzeugung, einer noblen Bestimmung zu folgen? Sind deshalb die Zahlen von Getöteten und Verwundeten in Krisen und Konflikten nicht mehr so erschreckend? Haben all die Jahrtausende Menschheitsgeschichte mit ihren hunderten Millionen Toten uns daran gewöhnt, dass jeder Krieg schrecklicher ist als der vorhergehende? Das Einzige, was gleichzubleiben scheint, ist die Erbarmungslosigkeit, mit der alles kurz und klein geschlagen wird. Und, wie es scheint, ist die Phantasie, mit der Menschen andere Menschen zu vernichten trachten, unbeschränkt.
Wie wäre es, wenn wir uns vorstellen würden, im Gaza-Streifen wären seit Oktober über 17.000 Menschen dazu verdammt worden, als „Blutadler“ aus dem Leben zu gehen, die tausenden Kinderrücken, die so aufgebrochen wurden, die tausenden Rücken von Frauen und Männern, die nie eine Waffe in der Hand hielten. So aber kommt ihr Tod unpersönlich daher, in Gestalt von Bomben und Geschossen. Am Ende stehen lange Gräben im Sand, gefüllt mit vielen blauen Plastiksäcken, die Müll enthalten könnten, wüsste es man es nicht besser. Und wir hören, dass das so sein muss, weil der Kampf noch nicht gewonnen ist, auch wenn er natürlich schon ein bisschen „zu viele“ Leben forderte. Noch dürften die Waffen nicht schweigen. Jedenfalls nicht, wenn es nach den USA geht. Die verbinden Waffenlieferungen an Israel mit ständigen politischen Ermahnungen. Laut Blinken können wir uns gar nicht vorstellen, wie unentwegt die Biden-Administration daran arbeitet und den Israelis 24 Stunden täglich nahelegt, die US-Waffen doch bitte ganz vorsichtig einzusetzen, quasi gehirnchirurgisch genau. Denn die Mission ist ja noch zu erfüllen, die Vergeltung des Hamas-Terrors vom 7. Oktober 2023. Die Hamas muss nun mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden, und da diese -wie etwa der israelische Präsident betonte- buchstäblich hinter jedem Küchenfenster im Gaza-Streifen hockt, ist auch jedes Küchenfenster ein Ziel, Schulen, Gebetsstätten und Hospitäler sowieso.
Und was war vor dem 7. Oktober 2023? War da nicht etwas, was die Vereinten Nationen immer wieder zu neuen Resolutionen veranlasste? Gab es etwa Raubzüge moderner Wikinger, beginnend im Jahr 1948 und dann immer wieder? Darüber wurde keine Serie für Netflix gedreht.
Wie ist es mit dem Ukraine-Krieg, der nie hätte geführt werden dürfen und nicht zu Ende gehen soll, obwohl er längst verloren ist. Aber das ist auch nicht jedermanns Sichtweise. Erst kürzlich ließ die SPD auf ihrem Parteitag wissen, wohin die Reise gehen soll: „Solange sich in Russland nichts fundamental ändert, wird die Sicherheit Europas vor Russland organisiert werden müssen“, lautet die neue Erkenntnis. Also in Russland muss sich etwas fundamental ändern. Man wüsste gerne genauer, was sich nun dort ändern soll und vor allem wie. Soll dort mit Putin der „Blutadler“ gemacht werden?
Und was heißt es, dass die „Sicherheit Europas“ vor Russland organisiert werden muss. Von welchem „Europa“ ist die Rede? Ist es das Europa, das in Artikel 23 des Grundgesetzes erwähnt wird, oder ist es ein anderes? Auf dem Landweg trennen Berlin und Moskau rund 1800 Kilometer, zwischen Berlin und Kiew liegen etwa 1350 Kilometer. Bis Tbilissi sind es über 3600 Kilometer. Ist Russland aus dem neuen SPD-Europa herausgefallen und wenn ja, wohin? Was bedeutet es, die Sicherheit „Europas“ vor Russland zu organisieren? Heißt das jetzt Gegnerschaft, Feindschaft? Dann sind wir gewiss nicht in Sicherheit. Und wie soll das nun organisiert werden? Hat die Nato etwa versagt, was die Organisation der Sicherheit ihrer Mitglieder betraf? Muss jetzt etwas Neues her? Wie kann die Sicherheit „Europas“ überhaupt organisiert werden, nachdem der US-Präsident Biden darüber aufgeklärt hat, dass die Russen, falls sie in der Ukraine gewinnen, im nächsten Schritt über Nato-Länder herfallen werden, was dazu führen wird, dass wir dann im echten heißen Dritten Weltkrieg sind.
Deshalb, so Biden, muss die Ukraine weiterkämpfen, mit unserer Unterstützung. Gleichwohl führte dessen Äußerung zur Frage: Wenn die Nato schon nicht mehr abschreckend auf Russland wirkt, was sollte dann dieses Land überhaupt noch abschrecken?
Und wie verträgt sich das mit Bidens Einschätzung, dass Putin den Krieg längst verloren habe?
Es ist nicht ganz klar, geschichtlich betrachtet, wo die Wurzeln der Russen liegen. Kamen sie aus dem hohen Norden? Mit Wikingerblut in den Adern?
Ziemlich sicher ist, dass in den schlimmsten Zeiten der deutschen Geschichte das nordische, arische Erbe als Rechtfertigung diente, die Welt beherrschen zu wollen und die „jüdisch-bolschewistischen Verschwörung“ zu vernichten. Dem „Blutadler“ der Deutschen sind damals allein ca. 26 Millionen Sowjetbürger zum Opfer gefallen. Das alles ist der SPD inzwischen genauso entfallen wie ihre Beteiligung an der Konfliktanheizung mit Russland nach dem Ende der Schröder-Ära, immer im höheren Auftrag, so wie einst Odins Erben bei den „Vikings“. Nun sind sie auf neuer Mission. Jetzt werden Nägel mit Köpfen gemacht und den Russen gezeigt, wie wehrhaft und „kriegstüchtig“ die Deutschen sein können, wenn sie nur wollen. Bei „Vikings“ wurde vor dem Angriff ins Horn geblasen. Soweit sind wir noch nicht. Aber von der geforderten Organisation der Sicherheit „vor Russland“ bis zur Überlegung, dass Angriff die beste Verteidigung ist, ist nur ein kleiner Schritt.
Walhalla wartet schon.
Liebe Frau Erler,
ich bin eine regelmäßige Leserin Ihrer LeuchtturmNachrichten und schätze Sie sehr. Und ich möchte mich auch für Ihren aktuellen Anti-Kriegsbeitrag bedanken.
Zu den Wikingern hab ich eine kleine historische Anmerkung, aber vorneweg: ich kenne die Serie, auf die Sie sich beziehen, nicht, solche "Unterhaltung" interessiert mich auch keineswegs, ich halte sie für Hirnvermüllung. Aber ich weiß aus der europäischen Geschichte folgendes zum Thema Wikinger, das leider nicht Wissens-Allgemeingut ist:
Es gilt als wahrscheinlich, dass diese Menschen, die zum Ende des vorletzten Jahrtausends die Küsten Nord- und Westeuropas mordend heimgesucht haben und die als die "Wikinger" bezeichnet werden, eigentlich ursprünglich aus Sachsen kamen. Vielleicht ist Ihnen bekannt, dass Karl der Große die Sachsen als Rache dafür, dass sie sich ihm nicht unterwarfen und nicht sich christianisieren ließen, ihrer gesamten Oberschicht beraubte, und alle Führerinnen und Führer, Priesterinnen, Weise Frauen und Männer, Heiler, Hebammen, Architekten, die gesamte Oberschicht beim Blutgericht von Verden abschlachten ließ. Diejenigen, die noch konnten, flohen verzweifelt und zutiefst traumatisiert ins heidnische Skandinavien, um zu überleben und sich neu zu finden. Es sind diese Traumatisierten, die drei Generationen später als Wikinger gegen das inzwischen komplett gewalt-christianisierte Nord- und Westeuropa zu Felde zogen und gegenüber den neuen Opfern ebenfalls kein Erbarmen kannten.
So geht das mit der Gewalt. Sie kontaminiert mit ihrem Gift die betroffenen Bevölkerungen trans-generationell über weitere Jahrhunderte. Der Schlächter Netanjahu scheint wie eine Art Wiederauferstehung der Nazi-Schlächter zu sein, denn Gewalt, sofern sie nicht geheilt wird, ist eine siebenköpfige Hydra: Aus jeden abgeschlagenen Kopf wachsen sieben neue Ungeheuer hervor.
Das ist eine psychologische Gesetzmäßigkeit. Die Aufarbeitung des Nazi-Terrors, auf die wir Deutschen so stolz sind, hat sich nie um das kollektive Trauma der Kinder und Enkel der Naziopfer gekümmert, sondern war zu selbstbezogen. Und heute sind wir dabei, lieber unsere Hände im Blut der Kinder von Gaza in Unschuld zu waschen, um ja nicht in einen Antisemitismus Verdacht zu geraten, würden wir im Namen der Menschlichkeit dieser israelischen Politik widersprechen. Die Deutschen haben doch "ihre historische Lektion gelernt", darauf sind sie stolz ...
Ich bin sehr traurig und sehr ratlos.
Solidarische Grüße von
Rosemarie Kirschmann
Friedrichstr. 2
73666 Baltmannsweiler
...wenn sich die Menschen regelmäßig nur ein paar Minuten mit Frieden beschäftigen, sinkt die Kriminalitätsrate signifikant ab. Netflix (siehe Blutadler) schauen hat dagegen vermutlich (offensichtlich) eine andere Wirkung....
Frei interpretiert nach:
https://www.sonnenseite.com/de/franz-alt/kommentare-interviews/ueber-den-frieden/