Dem Vergessen entrissen: zivile Opfer geheimer CIA-Missionen im Afghanistan-Krieg
Oder wie eine Weltmacht andere für sich töten ließ
Ende vergangenen Jahres erschien in „Propublica“ eine sehr lange Reportage von Lynzy Billing über eine der kaum thematisierten Seiten des Krieges in Afghanistan: die Mordtruppen, die nächtlich in Häuser einbrachen und wahllosen Tod brachten, die sogenannten „Null-Gruppen“.
https://www.propublica.org/article/afghanistan-night-raids-zero-units-lynzy-billing
Billing ist nicht die erste, die über diese Gruppen berichtete.
Aber sie hat am konsequentesten gesucht, mehr als dreieinhalb Jahre, nur in einer der 31 afghanischen Provinzen, ganz im Osten des Landes, an der Grenze zu Pakistan. Dort, wo sie selbst herkam.
Billing ist eine junge Journalistin afghanisch-pakistanischer Herkunft. Sie begab sich 2019 auf Spurensuche nach Afghanistan, weil sie aufgrund ähnlicher Vorfälle als Kleinkind selber zur Waise wurde. Sie vermochte ihr persönliches Familiendrama nicht zu entschlüsseln, aber mit ihrer Arbeit, die fast vier Jahre dauerte, legte sie Zeugnis vergleichbarer Dramen ab. Im tragischen Schicksal anderer fand sie ihre eigene Geschichte.
Die Taktik des nächtlichen Häuserüberfalls ist kein neues Konzept: Es wurde bereits im Vietnamkrieg von den USA eingesetzt. Damals schätzte man, dass 97% der Opfer solcher „Kommando-Aktionen“ Zivilisten waren. Dann wurde es zur Taktik im Irak-Krieg.
Vier derartige „Nullgruppen“ hat es in Afghanistan gegeben, ausgedacht und angeleitet von der CIA, die sie bewaffnete und bezahlte. Amerikanische Spezialkräfte waren häufig Teil der „Aktionen“.
Das „Tätigwerden“ dieser Gruppen unterlag nicht den Einsatzregeln der US-Armee und offenbar auch keinen humanitären Regeln, da die CIA das Regiment führte.
Förmlich sollten nach 2012 derartige „Kommando-Aktionen“ immer im Einvernehmen mit der afghanischen Regierung durchgeführt werden, weil es „Unfälle“ gegeben hatte.
Es gelang Billing, über 450 Fälle sinnlos ermordeter Menschen (Frauen, Kinder, Männer) in nur einer afghanischen Provinz zu dokumentieren.
Das ist nur die Spitze eines Eisberges, der die wenigsten interessiert. Die NATO ist aus Afghanistan wieder verschwunden. Die Trauer, die Wut und das Trauma sind im Land geblieben. Aufgearbeitet ist nichts, gesühnt ist auch nichts.
Es scheint so, als hätte es diese Vorfälle gar nicht gegeben, die Billing nun dem Vergessenwerden entriss.
Über die einzelnen nächtlichen Einsätze der Null-Gruppen wurde zwar nach Washington berichtet, aber es wurde so getan, als wären die Missionen, die dazu gedacht waren, Talibankämpfer zu stellen, ohne Fehl und Tadel gelaufen. Starb ein Kind, wurde ein „TIT“ abgerechnet: „terrorist in training“, ein sich in Ausbildung befindlicher Terrorist.
Billing hat die CIA und das Pentagon befragt, Mitarbeiter im Kongress.
Sie wurde meistens mit Plattitüden abgespeist. Ein CIA-Sprecher warnte, das sei nur Taliban-Propaganda.
Zwei „Väter“ dieser nächtlichen Einsätze, erst im Irak, dann in Afghanistan, einer davon General Petraeus, verweigerten ein Interview.
Petraeus ist heute ein gefragter Kommentator zum aktuellen Krieg in der Ukraine.
Tatsächlich ist die ganze Konzeption solcher „Null-Gruppen“ (Leitmotiv: Stöbere sie auf in ihren Löchern und räuchere sie aus) rechtlich äußerst fragwürdig. Selbst im Krieg ist es nicht zulässig, nachts in Häuser einzubrechen und den darin vermuteten und mutmaßlich schlafenden Feind, dann einfach umzubringen.
Die Null-Gruppen haben auch Gefangene gemacht, (die dann zum großen Teil wieder frei gelassen werden mussten) laut Billing.
Human Rights Watch dokumentierte 2022, dass die Taliban im Krieg gegen den IS nun auch so verfahren wie die „Null-Gruppen“. Auch sie brechen zu nächtlicher Stunde ein und bringen Tod und Zerstörung. Sie ignorieren, so wie die von der CIA geschaffenen Gruppen, das humanitäre Völkerrecht.
Tatsächlich haben diese nächtlichen „Unternehmungen“ dazu beigetragen, dass der Hass auf die Amerikaner nur anschwoll, und noch mehr Afghanen den Taliban zuliefen. Ein US-Ranger, der ebenfalls an solchen Einsätzen beteiligt war, fasste den verhängnisvollen Kreislauf wie folgt zusammen.
“Du gehst in diese nächtlichen Einsätze, machst mehr Feinde, und dann gehst du auf noch mehr nächtliche Streifzüge für die angewachsene Zahl von Feinden, die du nun umbringen musst.“
Billing gelang es auch, zwei afghanische Mitglieder einer solchen „Null-Gruppe“ zum Reden zu bringen. Die dachten anfänglich, bei etwas Gutem mitzumachen und waren nach eigenen Aussagen an hundertfachem Mord Unschuldiger beteiligt.
Sie bereuten ihre Taten, waren aber der Überzeugung, dass das Geschehene den Amerikanern nicht den Schlaf rauben würde, anders als ihnen. Wenn es bei den „Einsätzen“ Opfer auf Seiten der Null-Gruppen gab, dann nach ihren Worten immer nur afghanische. Ihre Erfahrung lautete: Die Amerikaner lassen kämpfen und sterben.
Das ist nicht so verschieden von dem, was heute in der Ukraine passiert. Der ukrainische Verteidigungsminister Reznikow drückte es in einem jüngsten Interview so aus (Basis: maschinelle Übersetzung aus dem Ukrainischen ins Englische):
„Wir führen heute die Mission der Nato durch (Anm.: mit Bezug auf den NATO-Gipfel 2022). Die vergießen nicht ihr Blut. Wie vergießen das unsere. Deshalb müssen sie uns mit Waffen versorgen.“
(ab Min 11:05)
Laut Billing haben nicht alle der afghanischen Mitglieder der Null-Gruppen das Land mit dem abziehenden (fliehenden) US-Personal verlassen.
Die nächtlichen Übergriffe stützten sich auf Informationen über vermeintliche Aufenthaltsorte von Taliban, die oft nicht stimmten. Die USA verstanden nichts, so erfuhr Billing, von den afghanischen Stammesstrukturen, von möglichen Loyalitäten oder Konflikten. Sie nahmen für bare Münze, was ihnen zugeraunt wurde und suchten nach den betreffenden Hütten bzw. dem Standort von Telefonen.
Auf dieser Form von „Information“ fußten nicht nur die Einsätze der Null-Gruppen, sondern auch Drohnenattacken.
(Anm.: Dan Hale, der Geheimdokumente öffentlich machte, die nachwiesen, dass Drohneneinsätze der USA in Afghanistan innerhalb von 5 Monaten zu 90% Unschuldige töteten, wurde wegen der Enthüllung dieser Information zur 45 Monaten Gefängnis verurteilt. Der Richter sah es nicht als erwiesen an, dass es im überragenden öffentlichen Interesse war, diese Vorgänge zu enthüllen.
Billing erkämpfte sich auch ein Interview mit dem ehemaligen Geheimdienstchef Afghanistans, der förmlich ab 2012 die Null-Gruppen-Einsätze Einsätze mit befürworten musste. Aber effektive Kontrolle gab es nicht. Wie zur Entschuldigung sagte dieser:
„Das Problem ist, niemand nimmt es ernst. Wenn die Unfälle (Anm.: zivile Todesfälle) zunehmen, dann gewöhnt man sich an diese Tode… und dann verlierst du das Gefühl, dass das schwerwiegend ist. Das ist wie, wenn man zum ersten Mal Blut sieht. Da fühlst du etwas. Beim zehnten Mal aber nichts mehr.“
Am Ende der langen Reportage berichtete Billing von einer Frau, die den Verstand verlor, nachdem ihre drei Kinder bei einer US-Drohnenattacke starben. Die Schwester, die Billing eine Entschädigungsforderung mitgeben wollte, wusste noch nicht einmal, dass die USA inzwischen das Feld geräumt hatten. Wann kommen sie wieder, erkundigte sie sich.
Nachbemerkung:
Wenn Sie Englisch gut lesen können und wenigstens eine Stunde Zeit haben, dann lege ich Ihnen den Originalartikel von Billing ans Herz.
Sie werden ihn nicht vergessen, sie werden die vergessenen Menschen nicht mehr vergessen, und wer sie auf dem Gewissen hat: Die, die immer andere für sich sterben lassen und Kriege wie Operetten aufführen (Anm. -Kästner- „Und Kriege gäbs, wie Operetten“), die, die nicht wollen, dass die individuellen Schicksale der afghanischen Zivilbevölkerung das Weltgewissen erreichen.
Und man versteht auch sehr viele besser, dass alles, aber wirklich alles, damit steht und fällt, dass man ein Land versteht, die Sprache spricht, sich in die Kultur einfühlen kann, so wie Frau Billing.
Deutsche Truppen waren nicht in der Provinz, in der Billing recherchierte. Aber sie waren Teil des Ganzen. Deutsche Soldaten starben, und Afghanen durch deutsche Hände auch.
In der Reportage hieß es auch: In Afghanistan stirbt man als Zivilist, von der Hand der Taliban, der USA (und durch sie bezahlter Täter), durch den IS oder durch die Hand ganz gewöhnlicher Krimineller. Aber wen interessieren schon tote Afghanen.
Genau wegen dieser Tatsachen kann ich eigentlich nur bitter auflachen, wenn in diesen verbrecherischen Kriegen immer noch von Freiheit und Demokratie geschwafelt wird.
Ich halte die USA für den bei weitem größten Staatsterroristen und Terrorstaat auf dieser Erde und die NATO ist eines ihrer Werkzeuge, nix Verteidigungsbündnis. Es gab vor einigen Jahren eine ziemlich verstörende Doku, die heraus arbeitete, wie ein einfacher afghanischer Bauer systematisch zu Tode gefoltert wurde und die US-Folterer sich über seine Schreie und Klagen amüsierten, obwohl sie längst wussten, dass er unschuldig war.
Nein, liebe Frau Erler, ich möchte nicht danken für diesen Artikel, denn er ist eine Zumutung, aber eine notwendige Zumutung.
Übrigens ist es auch eine terroristische Taktik der Israelis in den besetzten Gebieten, nachts in die Häuser palästinensischer Familien einzudringen um Angst und Schrecken zu verbreiten. Wie viele Menschen dabei umkommen, wird auch dort unter der Decke gehalten.
Hier eine Doku über die US-Folter im Irak. https://www.youtube.com/watch?v=BH3Os5CWXGc
Wobei die Amis auch in allen anderen Kriegen nach dem 2. Weltkrieg keine Samthandschuhe trugen, wie in der Doku so feinsinnig formuliert wurde.
Es gibt ein sehr gutes Buch, in welchem auf ca. 380 Seiten die Mordtaten der Herrschaften in Washington beschrieben stehen. Das Buch beginnt mit der Gründung der USA, wo bereits zu Beginn die Leidtragenden die indianischen Stämme waren. Zum Schluss gibt es dann gemäß Redaktionsschluss des Buches (mein Exemplar ist aus 2015) eine Auflistung der Drohnenmorde, ohne Anspruch Vollständigkeit. Das Buch ist ein erschütterndes Dokument einer wahren Räubernation, die in ungeheurer Anmaßung sich als alleinige Weltmacht sehen will und gerade dabei ist, mit diesem Anspruch die Welt in den Untergang zu reißen und wir haben hier in Europa diese lächerlichen Pappfiguren der europäischen Regierungen, wo mir nur einfällt, dass Ungarn und die Türkei nicht alles mitmachen. Diese europäischen Regierungen nehmen Millionen Europäer in Geiselhaft und gefährden unsere Existenz. Unfassbar. Das Buch heißt: Die Weltbeherrscher, Untertitel: Militärische und geheimdienstliche Operationen der USA, Autor: Armin Wertz.