Berlin ist verschnupft: War es Nordstream?
Subtile Botschaften aus Washington zum deutsch-amerikanischen Verhältnis
Am 6. Oktober jeden Jahres begehen die USA den deutsch-amerikanischen Tag.
In der diesjährigen offiziellen Stellungnahme des US-Präsidenten wurde unter anderem das Folgende proklamiert:
“On German-American Day, let us also reaffirm the United States’ vital alliance with Germany and our enduring bonds to its people. As the closest of friends, the most reliable of partners, and strong NATO Allies, our countries work together around the world to advance our shared commitment to democratic principles, human rights, and the rules-based international order. Together, we will continue to stand against authoritarianism and advance freedom and opportunity for all people.”
Übersetzung:
Lassen Sie uns am Deutsch-Amerikanischen Tag auch das lebenswichtige Bündnis der Vereinigten Staaten mit Deutschland und unsere dauerhafte Verbundenheit mit seinem Volk bekräftigen. Als engste Freunde, zuverlässigste Partner und starke NATO-Verbündete arbeiten unsere Länder weltweit zusammen, um unser gemeinsames Engagement für demokratische Prinzipien, Menschenrechte und die regelbasierte internationale Ordnung voranzubringen. Gemeinsam werden wir uns weiterhin gegen Autoritarismus stellen und Freiheit und Chancen für alle Menschen fördern.
2021 war es ein Verhältnis von „untrennbar Alliierten“. 2020 unterstrich Trump die “starken transatlantischen Bande“ mit Deutschland und erinnerte auch an den Tag der Deutschen Einheit.
Da jedes Wort eines US-Präsidenten zählt, hatte sich also etwas ereignet, was die starke Betonung der „Lebenswichtigkeit“ des Bündnisses mit Deutschland, und den Einsatz von Superlativen zur Folge hatte.
Da wir am 3.10. den Tag der Deutschen Einheit feiern, die wir sehr vielen verdanken, aber vor allem den USA und der Sowjetunion, was an diesem Tag auch ausgedrückt wird, hörte ich mir die Rede des deutschen Bundeskanzlers zum Tag der Einheit nochmals genau an.
Nein, der Bundeskanzler bedankte sich bei niemandem.
Der Präsident des Bundesrates Ramelow, der linke Ministerpräsident von Thüringen und aktuell zweiter Mann im Staat, war Gastgeber der offiziellen Feierstunde zur Deutschen Einheit. Der hielt eine längere Rede als Scholz, aber hatte auch keine Dankesworte parat
https://www.bundesrat.de/SharedDocs/pm/2022/014.html
Die Deutsche Welle informierte international:
Deutsche Politiker schlagen am Einheitstag einen „düsteren“ Ton an.
https://www.dw.com/en/german-reunification-politicians-strike-somber-tone-on-anniversary/a-63322240
War das Teil der Zeitenwende, die unser Kanzler ausrief?
Denn wie wir diesen Tag politisch bewerten, wird international genau registriert.
Im Jahr 2021 folgte Frau Merkel noch dem diplomatischen Protokoll und fand angemessene Dankesworte.
Nun könnte man ja annehmen, dass wir es eventuell mit einer politischen Laienspieltruppe zu tun haben, die die diplomatischen Regeln nicht kennt, oder die sich um die Frage herumdrücken wollte, ob man unter den heutigen Umständen der Sowjetunion noch ein Dankeschön hinterherrufen darf.
Aber Olaf Scholz sagte in seiner Rede vom 3. Oktober unter anderem den folgenden Satz:
„Gleichzeitig werden wir alles dafür tun, dass wir dann langfristig unsere Energieversorgung so sicher organisieren können, dass niemand uns erpressen kann, niemand uns unter Druck setzen kann.“
Damit ließ er die Katze aus dem Sack: Das politische Berlin ist verschnupft. Nicht, dass der deutsche Mainstream so etwas registrieren würde, der ist gerade beim Thema „Armageddon“.
Sieh da, wir hatten eine klitzekleine Verstimmung im Verhältnis zu den USA. Der deutsche Revoluzzer (im Zivilstand diesmal kein „Lampenputzer“) ist sauer.
So sauer, wie er es sich das öffentlich zu sein traut, also nicht SO viel, aber immerhin. Und die schlauen Amis haben es sofort bemerkt und reagiert und die zuverlässigste Zuverlässigkeit betont.
Es ist wirklich jammerschade, dass erst viele Generationen nach uns im historischen Archiv der USA offengelegt werden wird, was der US-Botschafter in der Bundesrepublik Deutschland zu diesem deutschen Benehmen nach Hause übermittelte.
US-Diplomaten sind schlaue Leute, die riechen des Pudels Kern gleich.
Wer das nicht glaubt, dem empfehle ich, die Analyse des US-Botschafters zur Rede von Genscher in Tutzing 1990 und hier insbesondere den Punkt 9 nachzulesen: Sie enthält eine klare Warnung für Washington: Vorsicht, die (West)deutschen wackeln und denken über eine kooperative Sicherheitsordnung in Europa nach, in der die Sicherheit des einen nicht auf die Kosten des anderen geht. Die haben sowohl Washington als auch Moskau im Blick, und die NATO soll politisch werden.
https://nsarchive.gwu.edu/document/16112-document-01-u-s-embassy-bonn-confidential-cable
Berlin hat sich also offenbar eigene Gedanken zu jüngsten Vorfällen und diesbezüglichen Stellungnahmen aus Washington gemacht, die etwas ausführlichere Stellungnahme des US-Außenministers zum Thema Nordstream genauer studiert, in den Kontext gesetzt, über Interessenlagen nachgedacht und sich mit den düsteren Zukunftsaussichten für Deutschland beschäftigt. (Noch nie sei der Schritt so klein gewesen vom Industriestandort zum Industriemuseum, schätzte der Verband der deutschen Chemischen Industrie kürzlich ein.)
Die NDS haben die Äußerungen des US-Außenministers komplett übersetzt und Interessen herausgearbeitet. Das will ich hier nicht wiederholen.
https://www.nachdenkseiten.de/?p=88813
Ich will etwas hinzufügen:
Erstens, was fehlte in den Ausführungen von Blinken?
Blinken verurteilte den Angriff nicht in schärfster Form, fordert keine Bestrafung der/ des Schuldigen. Im Gegenteil, er verharmloste den Angriff: NordStream war ja gar nicht operabel.
Es gibt auch keine Presseerklärung des State Department, die diesen mutmaßlichen Staatsterrorismus grundsätzlich als inakzeptabel bezeichnet, als einen Akt, der die Unsicherheit der ganzen Welt weiter verstärkt, der wirtschaftliche, soziale und ökologische Schäden bringt und der verfolgt und strengstens geahndet werden muss.
So scharfe Formulierungen verwenden weder Washington noch Berlin.
Zweitens enthielten die freundlichen Sätze von Blinken, der ganz den besorgten Bündnispartner gab und auch von den strategischen Möglichkeiten sprach, die die Transformation der europäischen Wirtschaft und künftige US-Lieferungen bedeuteten, eine Drohung: Kommt bloß nicht auf die Idee, den Russen die Reparatur der Pipeline oder gar die Lieferung von Gas durch den unzerstörten Strang von NordStream 2 zu erlauben. Indem er daran erinnerte, dass Russland Energie als Waffe nutze.
Am 20.1. 22 sagte Blinken zur Frage von Nordstream 2 das Folgende:
„Es ist bemerkenswert, dass durch die Pipeline noch kein Gas fließt. Das bedeutet, dass die Pipeline ein Druckmittel Deutschlands, der USA und ihrer Verbündeten ist, und keines von Russland".
Stern titelte deshalb: „Nordstream 2 ist bereits Druckmittel gegenüber Russland“
Da bei Nordstream 1 die Russen das Gas noch auf- und zu drehen konnten (die Gründe dafür sind strittig), ist das nun auch vorbei. Und so soll es aus US-Sicht auch bleiben.
Das geht nur, wenn die Russen ihre Pipeline nicht reparieren können/dürfen.
Solange durch Nordstream 2, von der jetzt nur noch die Hälfte funktioniert, nichts fließt, sitzen aus amerikanischer Sicht die USA (und Deutschland) am längeren Hebel.
Auch ein Vergleich der Äußerungen des Weißen Hauses und der aus dem Pentagon lohnt:
Am 30. September wendete der US-Präsident die von den Briten ausgeklügelte Methode „Skripal“ an: Wenn die Russen etwas abstreiten und mit dem Finger woanders hinzeigen, dann sind sie in Wahrheit die Schuldigen.
„Die Russen verbreiten Desinformation und Lügen. Hören Sie nicht darauf, was Putin sagt. Was er sagt, und das wissen wir, ist nicht wahr.“
Im Original:
“The Russians are pumping out disinformation and lies.
Just don’t listen to what Putin is saying. What he’s saying, we know is not true.”
Der nationale Sicherheitsberater äußerte sich ähnlich.
Im Übrigen versicherten die USA ihr Interesse an einer Untersuchung der Sache.
Das Pentagon verhielt sich am schlauesten. Das wollte sich gar nicht äußern und erst mal das Ergebnis der Untersuchungen abwarten. Das wusste von nichts.
Da amerikanische Schiffe und Hubschrauber ziemlich lange im Einsatz in der Ostsee waren, sowie nach einem 3-D-Radarvideo ein US-Militärflugzeug (mit Spezialfähigkeiten zur Unterwasserkommunikation) in der fraglichen Nacht einsam und allein über der Ostsee im fraglichen Gebiet bizarre Flugmanöver ausführte (falls das Video kein fake ist), muss man logisch schlussfolgern, dass die allesamt leider nichts gehört und nichts gesehen haben. Deshalb muss das Pentagon jetzt die Untersuchungen abwarten.
In der Gesamtabwägung dokumentieren die amerikanischen Äußerungen die unerschütterliche Gelassenheit einer Großmacht an der Spitze der Nahrungskette. Sie bekommt, was sie will, so oder so und kommt damit durch. Es gibt keinen Anlass zu vermuten, dass das, was in der Vergangenheit so funktionierte, jetzt nicht mehr gilt.
Mögen die Hunde bellen, deutsche Zwerge ab und an maulen, die Karawane zieht weiter, und die Freundschaft vertieft sich.
Auch das ist eine wichtige politische Lektion für Berlin: Der Traum von neuer deutscher Größe ist nun kaputt, so wie die Pipelines in der Ostsee.
Vielleicht war es doch nicht so klug zu glauben, sich nun wie die Amerikaner benehmen zu können, statt sich wie bisher nach Ost und West gleichermaßen ein paar Handlungsspielräume offenzuhalten, wie das früher der Fall war.
Ich schreibe das ohne Häme, und in der Hoffnung, das neue politische Berlin wacht auf. Der Schaden ist angerichtet. Wie viele Jahrzehnte es brauchen wird, das nun alles zu beheben, ist unklar. Nicht alles ist reparabel. Die düstere Stimmung in Berlin hat gute Gründe.
Zu „Armageddon“ aber, was ein Extrathema ist, will ich heute nur soviel sagen. Es gibt eine stabile Kommunikation zwischen den militärischen Hauptquartieren der USA und Russlands. Das hat der amerikanische Sicherheitsberater öffentlich gemacht. An beiden Enden sitzen sehr kluge Leute. Die wissen genau, was auch nur eine kleine taktische Atombombe nach sich zöge. Die kennen ihre Doktrin besser, als viele „Experten“, die in Medien ständig labern. So pervers das ist, nukleare Abschreckung kann überhaupt nur funktionieren, wenn beide Seiten die Drohung ernst nehmen und sie nicht für einen Bluff halten. Da sind wir angekommen im großen Konflikt. Im Moment ist die gemeinsame Versicherung von Russland und den USA, keinen Nuklearkrieg führen zu wollen, weil man ihn nicht gewinnen kann, das Einzige, was uns schützt.
Das nukleare "Drohkonstrukt" der Atommächte hat seit der Kuba-Krise Bestand, aus gutem Grund: Alle Beteiligten sind sich (bisher) bewusst, dass der Einsatz von Atomwaffen das Ende unserer Geschichte wäre. Nur einer scheint das nicht begriffen zu haben - der ukrainische Präsident von USA's Gnaden. Höchste Zeit ihn endlich aus dem Verkehr zu ziehen, bevor er noch größeres Unheil anrichtet.
Der Schluss dieser geistesscharfen Analyse lässt wenigstens ein winziges Stück Hoffnung darauf, dass das Allerschlimmste (noch?) nicht eintrifft…