"Armageddon"- die heilige Schlacht gegen das Böse
Das Kriegsziel ist die Zerschlagung Russlands
Deuten die Äußerungen des US-Präsidenten vom 5. Oktober zu „Armageddon“ auf einen ernsthaften Versuch hin, die Welt von der atomaren Kriegsschwelle wegzuführen? Ich war anfänglich vorsichtig optimistisch, aber ich vergaß, dass die Lösung der Kuba-Krise nicht die Beendigung des Kalten Kriegs zur Folge hatte. Kennedy wollte nach dieser Krise zwar die „pax americana“ durch ein verlässlicheres System der internationalen Beziehungen ablösen, aber er wurde ermordet, bevor er es auch nur versuchen konnte. Biden will es gar nicht erst versuchen. Der Plan ist diabolischer: Er nimmt ein bisschen Druck aus dem nuklearen Kessel und zieht gleichzeitig, nun mit offenem Visier, in die Schlacht gegen Russland. Gottesgleich.
Einen Tag nach der Verkündigung von „Armageddon“ ließ der ukrainische Präsident für einen kurzen Moment die Maske fallen. Er forderte einen präventiven Nuklearschlag der NATO gegen Russland. Das wurde zwar wenig später wieder relativiert, aber gesagt ist gesagt (ab Minute 24 in der Q/A-Runde, also ohne Manuskript).
Damit ist alles über Selenskyi gesagt. Der ist zum erweiterten Suizid bereit, bereit, die Menschheit in den Abgrund mitzureißen.
Damit ist auch alles über seine Erwartungen zum weiteren Kriegsverlauf gesagt: Einer, der sich auf der militärischen Siegesstraße wähnt, fordert keinen nuklearen Erstschlag gegen seinen großen Feind. Man muss dankbar sein, dass dieser Mann nicht über Nuklearwaffen verfügt. Er wäre bereit, das Tabu zu brechen. Biden will uns weismachen, der Tabubrecher wäre Putin.
Hier ist meine Übersetzung der Biden-Äußerungen:
„“Seit Kennedy und der Kubakrise sind wir nicht mehr mit der Aussicht auf Armageddon konfrontiert worden“, sagte er. „Wir haben einen Typen, den ich ziemlich gut kenne“, sagte Biden und bezog sich dabei auf den russischen Präsidenten. „Er scherzt nicht, wenn er über den möglichen Einsatz taktischer Atomwaffen oder biologischer oder chemischer Waffen spricht, weil sein Militär, so könnte man sagen, deutlich unterdurchschnittlich ist.“…
Ich glaube nicht, dass es so etwas wie die Fähigkeit gibt, eine taktische Atomwaffe einfach (einzusetzen) und nicht mit Armageddon zu enden.“…
„Zum ersten Mal seit der Kuba-Krise droht uns eine Atomwaffe, wenn die Dinge tatsächlich auf dem Weg weiterlaufen, der eingeschlagen wurde“ sagte der Präsident. „Wir versuchen herauszufinden, was seine Exitstrategie ist? Wo findet er einen Ausweg? Wo findet er sich wieder, wo er nicht nur sein Gesicht, sondern auch erhebliche Macht verliert?““
Biden ist es völlig gleichgültig, dass er wenige Tage vorher behauptet hatte, dass Putin lügt, wenn er den Mund aufmacht.
Biden 30.9. (zu Nordstream):
„Die Russen verbreiten Desinformation und Lügen. Hören Sie nicht darauf, was Putin sagt. Was er sagt, und das wissen wir, ist nicht wahr.“
Am 5. 10. erklärt er Putin für seriös, der scherze nicht. Der sei zu allem fähig. Dabei verdrehte Biden nicht nur Putins Erklärungen; er sagte nicht die Wahrheit über die russische Nuklear-Doktrin. Die lässt den Einsatz taktischer Kernwaffen im Ukrainekrieg nicht zu. Scott Ritter, ein ehemaliger UN-Waffeninspektor, hat am 30.9. genau analysiert, dass nur die US-Nukleardoktrin ein Szenario ermöglicht, wie es Biden an die Wand malt.
https://consortiumnews.com/2022/09/30/scott-ritter-the-onus-is-on-biden-putin/
In der Biden-Geschichte steht Putin militärisch mit dem Rücken zur Wand. Im Krieg, zur Steigerung der Kampfmoral ist jede Lüge erlaubt.
Die Realität ist, was derzeit der Ukraine um die Ohren fliegt. In der Realität geht Putin methodisch und kühl, regelrecht pedantisch vor. Neue Gebiete werden russisch, ganz wie es die russische Verfassung vorsieht (völkerrechtliche Fragen lasse ich beiseite). Die russischen Waffen, die die Ukraine gerade treffen, dürfte es nach den westlichen Behauptungen der vergangenen Monate gar nicht mehr geben.
Russland hat -im Unterschied zu den USA- seine Chemiewaffen komplett abgebaut (2017) und darüber bestand Einigkeit. Aber nicht lange. Seit 2018 gibt es die politische Verdächtigung Russlands, das Chemiewaffenabkommen zu unterlaufen (Fall Skripal). Die zuständige Organisation hätte das verifizieren können, ja müssen. Russland forderte das sogar. Der Westen hat es abgelehnt.
Der Biowaffenkonvention fehlt ein solider Verifikationsmechanismus völlig.
https://www.nti.org/wp-content/uploads/2022/06/Creating-a-Verification-Protocol_FINAL_June2022.pdf
Das führt dazu, dass auch die Biowaffenfrage ein gefährlicher Streitpunkt zwischen den USA, Russland, aber auch China ist. Hier verdächtigt inzwischen jeder jeden. Aus der Sicht des Westens gilt passenderweise: Was Russland zu Biolaboren in der Ukraine sagt, ist Desinformation und Propaganda.
https://www.globaltimes.cn/page/202203/1254661.shtml
Nun unterstellt der US-Präsident völlig beweislos, dass Russland über Chemie- und Biowaffen verfüge und auch ruchlos genug wäre, diese einzusetzen.
Biden ist völlig gleichgültig, dass bisher behauptet wurde, dass russische atomare Drohungen auch Teil der russischen Propaganda wären. Alle, die für eine Verhandlungslösung warben, wurden noch vor wenigen Monaten als „Vulgärpazifisten“ oder Angsthasen vor einem Atomkrieg abgewatscht.
Zur Erinnerung:
So wurde bisher die atomare Drohgebärde Russlands kommentiert, siehe beispielsweise
Herr Mölling, DGAP:
„Es war klar: Hier (Anm.: in Deutschland) verfängt [die Androhung eines Nuklearschlages] unheimlich gut."
oder
Markus Lanz (ZDF) im März: Keine Angst vor Atombomben, rät Expertin (Frau Gaub)
https://www.zdf.de/nachrichten/politik/putin-atomwaffen-ukraine-krieg-russland-lanz-100.html
Frau Gaub:
„Unsere eigenen Köpfe, unsere Gefühle sind Ziel von russischer Propaganda. (…) Nicht die Bombe ist die Waffe, sondern die Angst vor der Bombe ist die Waffe.
Biden verglich die aktuelle Situation mit der Kuba-Krise. Damals standen sich die USA und die Sowjetunion konfrontativ gegenüber. Heute ist es wieder so, nur dass es diesmal die USA/ NATO und Russland sind. Damit räumte der US-Präsident ein, dass der Ukraine-Krieg ein Stellvertreterkrieg ist, ganz so, wie es US-Politiker beider Couleurs seit Jahren unentwegt in die Welt posaunen: Die Ukraine kämpft militärisch stellvertretend für die USA gegen Russland. Das ist der Unterschied zum Kalten Krieg. Da sprachen die Waffen nie.
Ansonsten wird der große hybride Krieg an allen Fronten geführt: politisch, informationell, wirtschaftlich.
Eine deutsche Bundesministerin war 2021 in dieser Frage sehr klarsichtig. Die sagte zum Kerngedanken der NATO das Folgende:
"Wir müssen Russland gegenüber sehr deutlich machen, dass wir am Ende - und das ist ja auch die Abschreckungsdoktrin - bereit sind, auch solche Mittel (Anm.: gemeint waren Kernwaffen) einzusetzen, damit es vorher abschreckend wirkt und niemand auf die Idee kommt, etwa die Räume über dem Baltikum oder im Schwarzmeer NATO-Partner anzugreifen", sagte sie. "Das ist der Kerngedanke der NATO, dieses Bündnisses."
AKK verstand nur zu gut, dass sich zwei Seiten wechselseitig bedrohen. Einsam wird kein Krieg geführt. Auch die Bundesrepublik Deutschland ist Partei.
Das amerikanische Kriegsziel ist nun eindeutiger bestimmbar: Es geht nicht um Regime-Change („Putin muss weg“) bzw. die strategische Schwächung Russlands (Das wird Russland „ruinieren“.).
Es geht um seine Zerschlagung.
Im Atlantic, einer politisch wichtigen US-Publikation, erschien im Mai 22 ein Artikel zur „Dekolonisierung“ Russlands. In diesem Artikel wird daran erinnert, dass es im Jahr 1991 in den USA Diskussionen gegeben habe, wie man mit der Auflösung der Sowjetunion umgehen sollte. Dick Cheney, damals US-Verteidigungsminister, habe sich (leider) nicht durchsetzen können mit der Idee, Russland ein für alle Mal zu zerschlagen (Anm.: Das Jelzin-Russland war nahe dran, genau dort zu enden, wo Cheney es haben wollte.).
Angesichts des Ukraine-Krieges wäre nun die Zeit gekommen, das Überfällige endlich zu tun. Das Ungeheuerliche dieser Aussagen, von niemandem zur Desinformation erklärt, muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen.
https://www.theatlantic.com/ideas/archive/2022/05/russia-putin-colonization-ukraine-chechnya/639428/
Im Juni 22 gab es zu diesem Thema eine Konferenz der Kommission für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, der sogenannten US Helsinki-Kommission. Das ist eine unabhängige Kommission, die von der US-Regierung 1976 geschaffen wurde.
https://www.csce.gov/international-impact/events/decolonizing-russia
Man muss davon ausgehen, dass Russland so etwas notiert und nicht als Manuskript für eine Schauspielaufführung in der Irrenanstalt abtut.
Aber nehmen wir für einen kurzen Moment an, Putin wäre der Wahnsinnige und Ruchlose, der, nunmehr, in der Ukraine auf verlorenem Posten, die Welt in den Untergang zu treiben bereit ist, in der niederträchtigen Sprache des Dirk Kurbjuweit, Spiegel online, „a cornered rat“ (eine in die Ecke getriebene Ratte).
(Anmerkung: Es heißt, Putin habe in Leningrad tatsächlich als Kind Ratten gejagt und erlebt, dass eine in die Enge getriebene Ratte angreift. Er nahm damals Reißaus. Weil er ein Mensch ist, keine Ratte. Mit 70 weiß man, wie man Ratten fängt.)
Wir haben es also, ganz hypothetisch, mit einer Geiselnehmersituation zu tun. Der Geiselnehmer hat die ganze Menschheit im Griff. In Geiselnehmerfällen wird deeskaliert, um die Geiseln zu retten.
Der ganze Westen müsste Kopf stehen, buchstäblich alles versuchen, um zunächst den russischen Geiselnehmer zu beschwichtigen. Das passiert aber nicht. Das Gegenteil passiert.
Der polnische Präsident informierte am 5.10. über Gespräche mit den USA zur Stationierung von Nuklearwaffen auf polnischem Territorium (sogenannte nukleare Teilhabe).
Das ist das exakte Gegenteil von Konfliktdeeskalation.
CIA und Pentagon nehmen der vorgeblichen Gefahr sogar etwas von ihrer Schärfe. Es gäbe keine verdächtigen diesbezüglichen russischen Aktivitäten. Nein, alles ist noch nicht so schlimm, „Armageddon“ ist noch ein bisschen aufgeschoben. Und als nächstes folgen weitere US-Milliarden für die Ukraine, sowie ein Terroranschlag auf die Krimbrücke. Das heißt, um im Bild zu bleiben, der Geiselnehmer wird weiter gereizt.
Die Ukraine feierte den gelungenen Terroranschlag auf die durch Russland errichtete Brücke von Kertsch. Westliche Medien applaudierten, ganz Partei:
Der Guardian: Ein „Kronjuwel Putins“ ist zerstört; die Brücke war in der Ukraine verhasstes Symbol der Krimannexion.
https://www.theguardian.com/world/2022/oct/09/kerch-bridge-russia-ukraine-war-crimea-putin
Besonders aussagekräftig war die erste Berichterstattung der Daily Mail, als man noch glaubte, die Brücke wäre komplett zerstört.
Selenkyi machte sich öffentlich lustig, der ukrainische Geheimdienst feierte und die Daily Mail gab alles genüsslich wieder. Auch die Washington Post und die NYT zeigten mit dem Finger auf den siegreichen ukrainischen Geheimdienst. Ein Berater des ukrainischen Präsidenten twitterte, das sei erst der Anfang.
Dann aber erwies sich die Brücke als weniger beschädigt als gedacht, Putin verurteilte den „Terroranschlag“ (2 Zivilisten starben) und plötzlich hieß es durch denselben Selenskyi-Berater: Das waren die Russen selber, das ist doch eindeutig.
https://twitter.com/Podolyak_M?ref_src=twsrc%5Egoogle%7Ctwcamp%5Eserp%7Ctwgr%5Eauthor
Mit Abläufen, Plausibilitäten und der Frage, wem nützt was, hält man sich längst nicht mehr auf. Das galt vielleicht noch für Sherlock Holms und Co.
Cui bono ist zum Kreml-Denkmuster erklärt, also verboten. (Dieses Wort ist in viele Sprachen der Welt integriert worden, nicht aus Sympathie für uns Deutsche.)
Kurz: Es wurde regelrecht auf ein tit-for-tat (wie Du mir, so ich Dir) gelauert.
Derweil untersuchte Russland den Kertsch-Anschlag. Der Zwischenbefund lautete: Hinter dem Plot stecke der ukrainische Geheimdienst, russische Bürger und andere Staaten, die assistierten.
(„Ukraine’s special services and citizens of Russia and foreign countries who assisted in preparing this terrorist act”)
Dann folgte der erste große strategische Militärschlag gegen die gesamte Ukraine und die Drohung, jeden weiteren Akt angemessen zu vergelten. Das Gebäude des ukrainischen Geheimdienstes (zum Zeitpunkt der Attacke leer), ist jetzt Schutt und Asche. Und nicht nur das. Ganz gezielt und massiv wurden wichtige Lebensadern der Ukraine angegriffen, vor allem der Energiesektor.
Präsident Selenkyi erklärte das Band zu „Putins Russland“ für völlig zerschnitten. Er forderte sofort die Verteidigung der Ukraine durch ein „Luftschild“.
https://twitter.com/ZelenskyyUa
Nahezu zeitgleich wurden Pläne öffentlich, die in Großbritannien zur Zerstörung der russischen Brücke entwickelt wurden, im Mai. Sie sind authentisch und hochprofessionell. Die Brücke wäre tatsächlich völlig zerstört worden. So ist der Anschlag aber nicht abgelaufen. Wer diese Pläne weitergab und warum gerade jetzt, steht auf einem anderen Blatt. Fest steht nur, britische Geheimdienstkreise hatten einen Angriffsplan auf ein „Kronjuwel Putins“. Das ist gefährlich genug.
https://twitter.com/KitKlarenberg?ref_src=twsrc%5Egoogle%7Ctwcamp%5Eserp%7Ctwgr%5Eauthor
Die ehemalige stellvertretende Generalsekretärin der NATO, Frau Gottemoeller, erklärte in einem Beitrag in der FT eher wie nebenbei das Ziel der ganzen Operation „Armageddon“. Die Wirtschaftssanktionen gegen Russland wirken nicht und die NATO kann sich nicht direkt in der Ukraine engagieren. Also sah sie nur noch folgende zwei Optionen: dem globalen Süden, der immer noch unter russischem Propagandaeinfluss stehe, wegen Hiroshima und Nagasaki, müsse nun erklärt werden, dass der nukleare Tabubrecher Putin heißt.
Zweitens solle die „nukleare Temperatur“ ein bisschen reduziert werden. Mit den Russen könnte man über deren Vorschläge zu Mittelstreckenwaffen reden. Möglicherweise hätten die auch schon mit den Chinesen darüber gesprochen. Vielleicht ein Moratorium?
https://www.ft.com/content/e3b6df70-7735-414f-bf2c-816638455ff4 (Bezahlschranke)
Aus Moskau sickert durch, dass die USA und Russland über die Durchführung des neuen START-Abkommens verhandeln. Es geht um den Verifikationsmechanismus, der beiden Seiten einen Einblick in die vorhandenen Waffen verschaffen würde. Dadurch kann die tatsächliche Effektivität der eigenen Verteidigung besser eingeschätzt werden. Seit den wiederholten russischen Äußerungen zu neuentwickelten militärischen Fähigkeiten stellen sich notwendigerweise Fragen in den USA, ob die eigene Verteidigung militärisch unterlaufen werden könnte.
Die Lösung der Kuba-Krise bestand darin, dass man verfeindet blieb, aber mit heiler Haut davonkam. Dank einiger glücklicher Umstände (und Menschen im Wortsinn) schrammte die Menschheit einige Male am nuklearen Abgrund hart vorbei.
So wie es aussieht, wollen aktuell beide Seiten wegen der Ukraine (noch) keinen nuklearen Schlagabtausch riskieren. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte ist: Der unterhalb der nuklearen Schwelle geführte Krieg wird mit härtesten Bandagen geführt, ist jetzt schon heiß und trägt die Eskalation in sich.
Das, was wir heute erleben, begann mit der deutschen Einigung und damit, dass Gorbatschow den Versprechungen des Westens glaubte, die NATO werde nicht nach Osten ausgedehnt. Das hat uns die deutsche Einigung ermöglicht. Das Versprechen hatte nicht Bestand. Seitdem prallen zwei Vorstellungen und sich daraus ableitende Prinzipien über eine europäische Sicherheitsarchitektur aufeinander: Die der NATO, weil sie Russland ausschließt, und die der KSZE/OSZE, die Russland einschließt und die zuletzt 1999 festhielt: Sicherheit des einen (Bündniswahlfreiheit) darf nicht auf Kosten der Sicherheit anderer gehen. Sicherheit ist unteilbar.
In der Ukraine bündelt sich dieser Konflikt, spätestens durch den NATO-Beschluss 2008, der die „rote Linie“ Russlands für irrelevant erklärte.
Und deshalb explodierte er auch dort.
(Nach dem NATO-Statut Art. 1 hätte die NATO eine Konfliktbeilegung mit Russland suchen und finden müssen.)
Heute geht es nicht mehr um Befriedung dieses Grund-Konflikts. Nun wird die Vorstellung von geteilter Sicherheit im transatlantischen Raum komplett zertrümmert. Russland zog -völkerrechtswidrig- in den Krieg, um seinen Sicherheitsinteressen mit Gewalt Geltung zu verschaffen. Eine schnelle Beendigung unterlief der Westen. Der hatte kein Interesse an der sich abzeichnenden Einigung zwischen Russland und der Ukraine Anfang April. Auch ein zweiter Schlichtungsversuch im September wurde unterminiert.
Denn es geht erklärtermaßen um „Siegfrieden“.
Leider vollzieht sich das alles unter tätiger Mithilfe der EU. Was der EU-Chef-Diplomat zum neuen EU-Sicherheitsverständnis am 6. Oktober zwitscherte, will ich nicht ausführlich kommentieren. Mir fiel allerdings der Ratschlag ein, dass man besser schweigt, wenn man nichts zu sagen hat.
https://twitter.com/JosepBorrellF?ref_src=twsrc%5Egoogle%7Ctwcamp%5Eserp%7Ctwgr%5Eauthor
Die EU ist zu schwach, um Europa zu retten. Also definiert sie Europa um.
Aus US-Sicht soll es Russland sein, das am Ende tödlich verwundet, zerstückelt und zerteilt am Boden liegt. Dann wären wir sicher, heißt es. Und es folgt die Litanei, dass an allem nur das aggressive, imperiale Putin-Russland schuld ist.
Unglücklicherweise haben die Russen jedoch vor, bei ihrem Schicksal mitzureden. Sie beurteilen die Entwicklungen der letzten Jahre anders. Sie vertrauen dem Westen nicht mehr.
Putin betonte, die Existenzgefährdung des russischen Staates werde mit allen verfügbaren Mitteln verhindert (analog zur russischen Verteidigungsdoktrin). Medwedjew, immerhin stellvertretender Vorsitzender des Sicherheitsrates, drohte:
„Es ist sinnlos und unnötig, an die Klugheit unserer Feinde im Westen zu appellieren, die Feinde müssen gezwungen werden, in dem verlorenen wirtschaftlichen Kampf um Gnade zu bitten und ihn mit ihrer vollständigen und bedingungslosen Kapitulation zu beenden – Medwedew“ (eigene Übersetzung)
Deshalb ist der eingeschlagene Weg der erklärten offenen Feindschaft der gefährlichste überhaupt. Krieg, offen oder verdeckt ausgetragen, tendiert immer dazu, zu eskalieren.
Das wusste schon Clausewitz. Prof. Gärtner, ein Mensch mit einer beeindruckenden Vita, erinnerte in einem Gastkommentar daran.
https://www.wienerzeitung.at/meinung/gastkommentare/2159012-Der-Krieg-draengt-zum-Aeussersten.html
Aber Clausewitz wusste auch, dass ein militärisch geführter Krieg nur die Ergänzung und Erweiterung der Mittel der Politik ist, und die Politik das Primat behält. Im Krieg kämpfen Länder. Die Armeen sind nur ihr Schwert.
Daher hat die Politik auch die Macht, den Krieg zu beenden.
Wir aber behandeln die Sache politisch und propagandistisch nach dem Motto: „Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.“
Ich würde gerne wissen, wann sich diese Frömmigkeit des Westens einstellte. Bestimmt nicht in Afghanistan, ganz sicher nicht im Irak. In Libyen und Syrien auch nicht. Westliche Wirtschaftssanktionen zerstören bis heute die Leben einfacher Menschen, und es war und ist es ihnen wert, um an Frau Albright zu erinnern. Streng betrachtet, sind alle westlichen Wirtschaftssanktionen, auch die Wirtschaftssanktionen gegen Russland ein Völkerrechtsbruch.
„Ich will Russen töten“, ging im US-Fernsehen Mike Morell (ehemaliger stellvertretender CIA-Direktor) im Zusammenhang mit Syrien ganz leicht über die Lippen. Er sprach nur aus, was andere auch dachten/denken.
„Wir lügen, wir stehlen, wir betrügen“ (M. Pompeo, damals noch CIA-Chef), wurde als Bonmot belacht und beklatscht.
Die Planung einer regime change Operation erfordere viel Arbeit, sagte John Bolton im CNN-Interview. Das irritierte sogar Reuters ein bisschen. Normalerweise würden US-Beamte nicht so offenherzig über so was reden. Reuters Berichterstattung suggerierte, dass Bolton möglicherweise hinter der missglückten Operation gegen Venezuela steckte.
Die Liste ist so lang, und die Ukraine steht auch darauf.
Putin ist nicht der Oberteufel, ganz allein in der Hölle. Dieser Hölle ist gut bevölkert, auch mit vielen westlichen Oberteufeln. Ich kann es nur wiederholen: Die Welt außerhalb des Westens WEISS das alles. Die sehen den Balken in unserem Auge, wir nicht.
Sie entwickeln plötzlich eine uns unangenehme Offenherzigkeit und sehr viel mehr Selbstvertrauen, während sie früher brav schwiegen und sich das Ihre nur dachten. Die Zeiten wenden sich. Nun ist die OPEC aus dem westlichen Lager ausgeschert. Es war absehbar.
Wie Glenn Greenwald glaube auch ich, dass ein Grund in der Situation in den USA liegt. Die Jahre permanenter Kriegsführung haben sie ausgezehrt, die politischen Parteien sind offen verfeindet, regelrecht im Krieg miteinander. Nun ist Wahlkampfzeit und Trump tritt für Verhandlungen mit Russland ein. Das macht alles noch komplizierter.
Tulsi Gabbard, 2015 als Hoffnungsträger der US-Demokraten (weiblich, farbig, Militär-Veteranin) gehandelt, hat jetzt mit ihrer Partei offen gebrochen. Nach Jahren der Beschuldigung, eine Verräterin (Pro-Assad, Pro-Putin) zu sein, weil sie sich gegen endlose regime-change-Kriege positionierte. Sie denkt, die demokratische Partei in den USA ist in die Hände „elitärer Kriegstreiber“ gefallen.
Jeder sieht (der sehen will), dass der weltpolitische Leithammel keinen „Oomph“, also keinen Pep mehr hat (ABC, 9.10.22). Biden ist ein gebrechlicher alter Mann, der zeitweilig tattrig und vergesslich wirkt. Aber schon im Wahlkampf 2020 gab es auch starrsinnige und bösartige Momente. Niemand weiß genau, ob er immer die Zügel fest in der Hand hält und wer dann am Ruder steht. Seine Stellvertreterin ist es garantiert nicht. Die erklärte jüngst Nord-Korea zum strategischen Verbündeten der USA und merkte es noch nicht einmal.
Sky, Australien berichtete.
Kriegspropaganda ist das eine. Ihr auch noch selbst zu glauben, etwas völlig anderes. Aber Hass macht blind. So geht die Fähigkeit zu gelassener Distanz, klarer Analyse und nüchternem Interessenkalkül verloren. Die Eigenschaft, uns durch die Augen anderer zu betrachten und deren Blickwinkel zu verstehen, gilt inzwischen als Indiz für Verrat. Sekten denken und agieren so.
Das ist buchstäblich zu unserer Achillesferse geworden. Wir überschauen nicht mehr, was wir anrichten.
Angeblich wurden Monate auf die Erarbeitung der Wirtschaftssanktionen gegen Russland verwendet, alles gut kalkuliert. Uns würde das alles nicht sehr schaden.
Hatten diese Leute einen Intelligenzquotienten unter dem Gefrierpunkt? Ganz sicher nicht. Sie vergaloppierten sich, weil sie Interessen und Ideologie vermischten, den Gegner nicht ernst nahmen, ihn nicht genauestens studierten, nicht verstanden. Die tun nur so, als wüsten sie ALLES, auch über Russland. Ja, aus der Vogelperspektive vielleicht.
Die sahen eine „Tankstelle“, aber kein lebendiges, kompliziertes Land. Die bedachten gar nicht den globalen Bumerangeffekt. Nun soll die westliche Rüstungsproduktion hochgefahren werden. Auch dafür braucht es Energie. Die ist bekanntlich knapp.
Die sehen eine Ukraine, die es nicht gibt. Es ist ein gequältes Land, das ausgeweidet, geplündert und benutzt wurde. Das war kein Leuchtfeuer der Demokratie, das auf Russland ausgestrahlt hätte. Das ist es auch heute nicht.
Die territoriale Integrität der Ukraine, die es bis zum März 2014 gab und für die wir angeblich eintreten, wird noch nicht einmal in der westlichen Beschreibung der Kriegsparteien gewahrt. Es ist kein bloßer Krieg Russlands gegen die Ukraine. Auf der Seite Russlands stehen der Donbass und die Krim. Hier bekämpft sich auch ein zerbrochenes Land, inzwischen bis aufs Blut.
Die Gleichen verstehen aktuell nicht, was für eine Diskussion in Russland abläuft. Die glauben, die Debatte um die russische Kriegsführung sei Schwäche. Vor dem geistigen Auge stürzen die ersten imperialen Mauern schon in sich zusammen.
Ich kann nur warnen.
So wie sich Bevölkerungsteile der Ukraine (nicht der Donbass, auch nicht die Krim) hinter Selenskyi formieren, so formiert sich nach meiner Wahrnehmung eine breite öffentliche Unterstützung für einen Krieg für „Mutter Russland“, die gerade Teile der Ukraine verschluckt hat.
Mit großer Lust wird die russische Armee als maroder Haufen dargestellt, nur ein „Silvesterknallfrosch“, wie ein Reporter in der YouTube-Kriegsberichterstattung des Telegraph meinte. Mit ein bisschen Artillerie, aber ohne jede Kampfmoral, der schlimmsten Verbrechen fähig.
Selbst Herr Röpke (BILD), den nun wirklich niemand als Pro-Russen wahrnehmen kann, notierte per Twitter, dass die fliehenden „Horden“ der Russen das Feld mit 90% der Ausrüstung und ohne merkliche menschliche Verluste räumen. In den aktuellen Gebietseroberungen der Ukraine verstecken sich Materialverluste, vor allem aber sehr viel Sterben. Überhaupt wird in der Ukraine sehr viel gestorben. Interessiert uns das?
Elon Musk, der inzwischen auch der Kollaboration mit Russland verdächtigt wird, erinnerte, dass „Auge um Auge“ am Ende dazu führt, dass alle blind sind.
Wir müssen dringend eine Pause machen und scharf nachdenken, ob wir den Weg in die Totalität des Krieges wirklich weitergehen wollen. Ob wir das verantworten können, vor uns, vor der Ukraine, vor der Menschheit.
An seinem Ende könnte sich die Frage, wer Sieger, wer der Besiegte ist, als völlig irrelevant herausstellen. Denn er führt in jedem Fall zu einer Vergrößerung des Risikos eines Atomkriegs.
Wer den überlebt, hat andere Probleme. Der sucht nach Feuer und Nahrung, streitet womöglich mit Stöcken und Steinen (Einstein),
https://www.spektrum.de/news/leben-mit-der-bombe/783508
Aber auch das scheint mir nicht ausgemacht. Als Einstein warnte, war noch nicht das ganze Ausmaß des Elends eines modernen Atomkrieges wissenschaftlich erforscht. Es ist gut möglich, dass die Wenigen, die das Martyrium von Jahrzehnten überlebt haben werden, nicht nur völlig traumatisiert, sondern auch geistig retardiert sind, dass das Allermeiste, was wir heute unter dem Begriff Mensch verstehen, ausgelöscht sein wird.
Der katholische Biden wählte den Begriff „Armageddon“. Im biblischen Sinn ist es die finale Schlacht Gottes gegen das Böse. Amerikaner beschrifteten im Kuweit-Krieg so die Kanonen ihrer Panzer. „Es war zum Programmwort für die endgültige Niederschlagung des gegen Gottes sich erhebenden Bösen geworden.“ Nun hat es sich Biden auf die Standarte gemalt.
https://www.kath.ch/medienspiegel/harmagedon-oder-die-finale-niederschlagung-des-boesen/
https://www.youtube.com/watch?v=YpzMfAKN9aQ
Das ist das jüngste Biden-Interview, für alle, die sich dem gewachsen fühlen: Putin habe sich rational nur verkalkuliert (also doch nicht der Irre), Putin habe taktische nukleare Waffen im Sinn (das ist pure Erfindung), Pentagon hat nichts zu sagen, oh oh
usw.
Sinn macht diese sehr kurze Interview nicht.
"Schauspieler, die im Schmierentheatern durchfielen, mangels Talente
Konfus mit Erdteilen jonglieren, in der Rolle von Staatspräsidenten
Wie Affen, die mit geladenen Pistolen neugierig hantieren
Dürfen Viersterne Clowns ihre Raketen als Spielzeug im All stationieren.“
(Ahl Männer, aalglatt; BAP, deren Sänger inzwischen auch vom Bellizismus erleuchtet wurde - ist eine andere Geschichte, oder vielleicht eben doch nicht?!)
Jedenfalls kommen mir diese Zeilen stets in den Sinn, wenn ich mit Schaudern lese (die Öffentlichen habe ich aus Gründen der geistigen Hygiene komplett aus dem Programm genommen), wie verantwortungslose westliche Politiker und ihre medialen Mietmäuler über die Zukunft der Menschheit - also unsere Zukunft - schwadronieren, als handele es sich bei dem Krieg der USA/Nato gegen Russland um ein Sandkastenspiel.
Der Schlüsselsatz Ihres wieder ebenso sauber recherchierten wie überzeugend argumentierten Beitrages (danke dafür, liebe Petra Erler!!!) lautet meines Erachtens: "Die Ukraine kämpft militärisch stellvertretend für die USA gegen Russland. Das ist der Unterschied zum Kalten Krieg. Da sprachen die Waffen nie.“
Aus diesem Verständnis ergibt sich nämlich eine völlig andere Deutung, als jene, die uns suggeriert werden soll: Das autoritäre Russland habe ein harmloses Demokratieprojekt angegriffen, um es zu zerstören, damit es nicht auf Russland ausstrahlt. Eine Gegenargumentation wider dieses Schwachsinns erübrigt sich.
Aus russischer Sicht geht es im Kern eben nicht darum, einfach einen unliebsamen Nachbarn zu kujonieren, sondern darum, die existenzielle Bedrohung durch die USA, die sich für ihre Ziele der Ukraine bedienen, auszuschalten. Da das so ist, ergibt sich für Russland, zumindest für einen signifikanten Teil der Gesellschaft, ein ganz anderes Verständnis des militärischen Konfliktes. Es ist eben nicht Putins Krieg, selbst Veteranen des Großen Vaterländischen Krieges, sogar Oppositionelle, die unter der amtierenden russischen Regierung gelitten haben sowie Teile des linken Spektrums stellen sich hinter Putin.
Besteht Hoffnung auf Deeskalation? Eine kühle Analyse ergibt: Die von den USA verfolgte Strategie zielt auf die Ausschaltung Russlands als Globalplayer. Der Preis für Russland wäre letztlich - wie Bandera-Verehrer Melnik dankenswerterweise öffentlich ausposaunte - das staatliche Ende Russlands. Man kann sich selber ausrechnen, ob es eine Regierung in Moskau geben könnte, die das hinnimmt. Der Preis für die USA bei einer Friedensregelung, die die ukrainische Neutralität einschließt, würde dagegen das Ende ihrer globalen Dominanz (😀) bedeuten. Das mag für die Protagonisten der "unverzichtbaren Nation“ zwar schlimm sein, wäre jedoch mitnichten eine existenzielle Bedrohung, sondern entspräche dem sich ohnehin vollziehenden historischen Prozess. Sollte sich diese Erkenntnis bei einem Teil der westlichen Funktionseliten durchsetzen, dürfen wir hoffen.