Zu den "Twitter-Akten", "sogenannten" Journalisten und zur Frage, für wen Medien arbeiten
Anhörung von Matt Taibbi und Michael Shellenberger im US-Kongress
Vor ein paar Tagen fand im US-Kongress eine Anhörung statt, bei der zwei (unabhängige) Journalisten, Matt Taibbi und Michael Shellenberger, zu ihren Ergebnissen der Aufarbeitung der „Twitter Akten“ (twitter files) befragt wurden.
Diese Anhörung verlief extrem polarisiert. Die demokratischen Ausschussmitglieder taten alles, um die geladenen Journalisten zu attackieren und deren Grundbotschaft, dass es einen „industriellen Zensurkomplex“ in den USA gäbe, der das in der Verfassung niedergelegte Recht auf freie Rede unterhöhlt, anzugreifen. Die Journalisten (beide Biden-Wähler) folgten einer Einladung der Republikaner.
In der Anhörung ging es nicht „nur“ darum, was diese Journalisten bisher im Ergebnis ihrer Recherchen bei Twitter auf Twitter dokumentierten: die Beschneidung der freien Rede durch staatliche Einflussnahme bei gleichzeitiger Verbreitung von Desinformation. Taibbi und Shellenberger sagten übereinstimmend, dass sie das, was sie fanden, früher allenfalls mit autoritären bzw. diktatorischen Systemen assoziiert hätten. Es würden politisch unliebsame Meinungen von Menschen bekämpft.
Was als Kampf gegen Terrorismus, Extremismus und Desinformation begonnen hätte, richte sich heute zunehmend gegen die „falsche“ Meinung von Menschen unterschiedlicher politischer Ansichten. Dadurch würde der Meinungskorridor immer enger, politisch missliebige Auffassungen unterdrückt. Sie fürchteten eine Erstarrung der Gesellschaft, wenn der offene Diskurs nicht mehr gewährleistet ist.
Der Name Assange fiel nicht in der Anhörung. Aber es ging dort um ein Grundprinzip der Pressefreiheit, das auch im Assange-Fall eine Rolle spielt: Haben Journalisten das Recht und die Pflicht, wenn es im öffentlichen Interesse ist, auch gehacktes bzw. geleaktes Material zu veröffentlichen?
Seit der Veröffentlichung der Pentagon-Papiere (gestohlen und geleakt vom tapferen Ellsberg, um den Vietnam-Krieg zu beenden) durch die New York-Times und die Washington Post, war das unbestritten.
Damals galt es als eine Sternstunde des Journalismus. Taibbi und Shellenberger warnten, dass dieses Prinzip nunmehr massiv attackiert würde.
In der Anhörung wurde einmal mehr deutlich, dass zwischen US-Demokraten und einer inzwischen kritisch gewordenen Anzahl von Republikanern aus politischen Motiven ein Rollentausch stattgefunden hat.
Der Auslöser dafür war Trump, der zum Entsetzen der Demokraten, aber auch einflussreicher republikanischer Kreise, 2016 die Wahl für sich entschieden hatte.
Die US-Demokraten um Hillary Clinton erfanden im Abwehrkampf gegen Donald Trump „Russiagate“ und begaben sich in eine unheilige Allianz mit den US-Geheimdiensten, die eine frühere Domäne der Republikaner waren. Bis heute gilt Trump führenden US-Demokraten als Marionette Moskaus, der sich illegitim und nur mit Moskaus Hilfe den Weg ins Weiße Haus erschlichen hatte. Trump und Putin als politische „Bromance“ ist wie ein ideal ausgetüftelter Giftcocktail, der seine Wirkung nicht verfehlt.
Die Anti-Trumper und Russland-Gegner unter den Republikanern unterstützten die US-Demokraten seit 2016 dabei, wenn auch oft verdeckt.
US-Demokraten verwendeten das Prinzip „Russiagate“ nicht nur gegen Donald Trump. Sie unterminierten damit auch erfolgreich den Vorwahlkampf von Bernie Sanders 2020. Sie ließen durchsickern, der wäre der vom Kreml bevorzugte demokratische Kandidat. Es hat prompt verfangen. So gingen sie auch gegen andere innerparteiliche Kritiker vor, wie etwa Tulsi Gabbard, einst ein Hoffnungsstern, der zu eigenwillig wurde. Inzwischen hat sie die Partei verlassen.
Trump und die ihn unterstützenden Republikaner wiederum machten 2019 die Frage zum Thema, ob Biden Amtsmissbrauch zugunsten seines Sohnes, der beim ukrainischen Unternehmen Burisma im Aufsichtsrat saß, betrieben hätte, bzw. Teil eines korrupten familiären Bereicherungsschemas wäre. Letzteres betrifft den „Hunter Biden-Laptop“ und eine entsprechende Veröffentlichung in der konservativ orientierten New York Post.
Deren Recherchen wurden im Oktober 2020 erfolgreich aus dem Wahlkampf weitgehend herausgehalten. Das gelang mit Hilfe des FBI, 51 ehemaliger hochrangiger Geheimdienstler, die alle Züge russischer Desinformation erkannt haben wollten, mit Hilfe sozialer Netzwerke (Twitter zensierte wegen angeblichem Hackertum, auch Facebook schränkte die Verbreitung ein) und einer liberalen Presse, die beschloss, die Geschichte so zu behandeln, als wäre sie russische Desinformation, auch wenn sie keine gewesen sein sollte (Argument der Washington Post).
Unzweifelhaft hat das Einfluss auf das Ergebnis der US-Wahlen gehabt, denn nicht alle Biden-Wähler hätten dort das Kreuz gemacht, wenn sie die Geschichte gekannt oder gar begriffen hätten, dass sie nicht von den Russen stammte.
In den Twitter-Akten finden sich Belege, dass das FBI aktiv Medien regelrecht darauf trainierte, dass 2020 eine russische Wahlbeeinflussung stattfinden könnte mit (falschen gehackten und geleakten) Materialien des Laptops von Hunter Biden.
Das Verwerfliche daran ist, dass dieser Laptop seit 2019 im Besitz des FBI war, dass das FBI die Authentizität kannte und also auch wusste, dass die New York Post-Berichterstattung nicht aus russischen Quellen stammte.
Insofern war die Anhörung der beiden Journalisten nicht politisch „unschuldig“, sondern Teil einer regelrecht kriegerisch geführten Auseinandersetzung von US-Demokraten und Republikanern um vergangene Wahlausgänge, als auch in Vorbereitung auf den Wahlkampf 2024.
Das ändert aber nichts daran, dass unter der Flagge „Kampf gegen (russische) Falschinformation“ Wahres delegitimiert wurde und wird, nichts daran, dass die Zensur, die im Zusammenhang mit „Russiagate“ einsetzte, auf die Pandemie-Politik übergriff, und es auch dort ein aktives Verlangen gab, unbequeme Meinungen zu desavouieren und ihnen Öffentlichkeit zu verwehren.
Erst nach der Anhörung wurde das „Virality Projekt“ in den Twitter-Akten gefunden und durch Matt Taibbi am 17. März öffentlich gemacht.
Um es mit den Worten von Taibbi auszudrücken: Ursprünglich wurde das Internet als freier Raum der Meinungsäußerung begriffen. Inzwischen aber verwandelt es sich in ein Instrument von staatlicher Zensur und sozialer Kontrolle.
Die zugrunde liegende Frage ist, ob Bürger mündige Subjekte sind, die Informationen (und deren Wahrheitsgehalt) einzuordnen wissen oder ob es eine „Gedankenpolizei“ geben muss, die danach trachtet, Menschen davor zu schützen, was sie möglicherweise denken könnten, falls sie mit bestimmten Informationen konfrontiert würden.
Welche Rolle haben dann Medien?
Oder anders ausgedrückt: Ist der Glaubwürdigkeitsverlust von Medien, der in den USA noch viel extremer ausfällt als in der EU, aber auch hier schon erschreckend hoch ist, ein Resultat eines staatlich beeinflussten Versuchs, Einfluss zu nehmen, was als richtig und was als falsch gilt, wer am Diskurs teilnehmen kann und wer ausgeschlossen wird? Weil Lügen häufig kurze Beine haben?
In den zwei Stunden wurde nicht über einen der unsäglichen Nebeneffekte von Zensur und Meinungsmanagement gesprochen. Gemeint ist die „Empörungsgesellschaft“. Im Netz kann man sich „auskotzen“, in einer Form, die sich die allermeisten in der direkten Begegnung nicht wagen würden. Das gehört zu den größten Problemen, vor allem im Netz. Aber gelenkte Haltung und gelenkte Empörung bzw. politische Aburteilung gehen auch zusammen, nur dass nicht gegen sie vorgegangen wird, wenn es um politisch opportune Fragen geht. Da darf jeder giften, was das Zeug hält. Aber es bleibt nie bei den Politikfragen, wo Hass und Empörung tolerabel scheinen. Das Ganze frisst sich durch alles, wie Krebs. Menschen haben leider eine sehr große Spannbreite, worauf sie Intoleranz, Verachtung und sogar Hass richten können und beschränken sich nicht, wenn sie erst mal riechen, dass verbale Fäkalien nicht grundsätzlich geächtet sind. Wer glaubt, dass markiger „Russenhass“ oder das beliebte Niedermachen von „Ungeimpften“ nicht andere Hassobjekte nach sich zieht, unterschätzt die Gefahr.
Zur politischen Dimension der Twitter-Akten“ gehört, dass Elon Musk öffentlich 2022 seine Unterstützung für die US-Demokraten aufkündigte, und bei Erwerb von Twitter deutlich machte, er wolle den „Vogel wieder aus dem Käfig befreien“.
Waren dann die Journalisten, die Zugang zu den Twitter-Akten erhielten, „handverlesen“ und damit kompromittiert?
Sowohl Taibbi als auch Shellenberger setzten sich erklärtermaßen damit auseinander, dass Quellen immer Motive haben, es zu den Aufgaben von Journalisten gehört, das in Rechnung zu stellen und ihre Abwägung nach dem öffentlichen Interesse zu treffen.
Beide Journalisten waren nicht nur in der Anhörung persönlichen Anfeindungen ausgesetzt. Sie wurden nach Beginn ihrer Veröffentlichungen der Twitter-Akten von anderen Journalisten attackiert, auch ehrabschneidend als „sogenannte“ Journalisten tituliert.
In der Anhörung unterstellten demokratische Ausschussvertreter auch, die beiden Journalisten hätten sich nur die Informationen rausgesucht, die ihnen in den Kram passten. Auch ein Profitmotiv und Geltungssucht wurde gemutmaßt: Wer eine Story bringt und danach mehr Twitter-Follower hat und mehr Leser auf Substack, verdient auch mehr Geld…
Dass ausgerechnet die ehemalige Vorsitzende der Demokratischen Partei ethische Fragen aufwarf, obwohl sie gemeinsam mit Hillary Clinton 2016 den Vorwahlkampf zu Lasten Sanders manipuliert hatte, war nicht ohne. (Anm.: Dieses Komplott wäre nie rausgekommen ohne die Veröffentlichung durch Wikileaks.)
So offenbarte der Verlauf der Anhörung auch, wie sich der heutige Umgang mit unbequemen Journalisten gestaltet (selbst wenn sie aus dem eigenen Lager kommen): Sie müssen sich Fragen und Vermutungen gefallen lassen, denen die Stars im Mainstream nie ausgesetzt sind, egal, was die zusammenschreiben.
Wie oft wurden/werden US-Journalisten gefragt, was geheimdienstliche Quellen und sie selber wohl im Sinn gehabt haben könnten, wenn diese fröhlich nachplapperten, was ihnen souffliert wurde? Wieviel berufliche Sicherheit, Gehaltssprünge oder Twitter-Follower es einbringt, wenn man nur brav im Mainstream mitschwimmt?
Das gilt nicht nur für US-Journalisten. So wie das ganze Thema der Einschränkung des tolerierten Meinungskorridors nicht auf die USA begrenzt ist.
Denn es geht nicht um das Wort, das legal beschränkt ist, sondern um das, was politisch beschränkt werden soll. So gehen Zensur und Desinformation Hand in Hand.
Der allseits beliebte Anknüpfungspunkt ist die notwendige Verteidigung der Demokratie gegen ihre inneren und äußeren Feinde: An vorderster Front steht die russische Desinformation bzw. die Meinung von Putin-Verstehern und anderer „trojanischer Pferde des Kremls“. Das wird nach Belieben ergänzt wie etwa um: „Aluhüte“, „Verschwörungstheoretiker“ oder sonstiger ( )-idioten (die Klammer kann mit Inhalt gefüllt werden).
Aus den Twitter-Akten ist einmal mehr ablesbar, dass die russische Bedrohung durch Desinformation in sozialen Medien im Wahljahr 2016 und später gnadenlos überhöht wurde, und dass beispielsweise „Hamiliton 68“, ein Instrument zur Bekämpfung dieser Desinformation, nichts als ein großer Schwindel war. Twitter wusste das, hielt die Klappe, aber versuchte, Journalisten zu warnen, völlig vergeblich. Die wollten offenbar „glauben“.
So entstanden viele Pressemeldungen über russische subversive Aktivitäten, die aus Twitter- Aktivitäten von westlichen Staatsangehörigen stammten, die keinerlei Beziehung zu Russland hatten.
Aber wenn uns im liberalen Mainstream eine „Verschwörungstheorie“ bzw. ein Desinformationsversuch regelrecht ins Gesicht springt, wie etwa die jüngsten „Enthüllungen“ vom „pro-ukrainischen“ Sabotage-Kommando an NordStream, mit dem sich ein ehemaliger Präsident einen Herzenswunsch erfüllte, pünktlich zum Geburtstag, läuten allenfalls ein paar kleine Alarmglöckchen, weit weg vom Mainstream.
Was hatten wohl die Quellen im Sinn, als sie so fröhlich plätscherten? Was dachten diejenigen, die das auch noch unters Volk brachten?
War einer/ eine darunter besorgt, dass das die Demokratie direkt schädigen könnte, angesichts dieser Farce, oder hatten Beteiligte schon vergessen, wie sie unisono mitschrien: Nur ein staatlicher Akteur könne das gewesen sein (Annahme: Selbstverständlich Russland, und wenn die Russen das abstreiten, dann lügen die!)?
Aber politische Haltung ist ja heutzutage flexibel sich selbst entschuldigend, ganz nach Bedarf. Man konnte ja nicht wissen, was man heute weiß, nicht wahr?
Die Anhörung von Taibbi und Shellenberger stellte sehr viele Fragen. Aber sie beantwortete auch eine: US-Demokraten haben kein Interesse an freier Rede, freier Presse.
Sie stehen dabei nicht allein auf weiter Flur. Sie haben überall willige Mitläufer, Nachahmer, auch Einpeitscher. Hier wie dort.
So besorgt sich die Republikaner auf dem Gebiet der „Twitter-Akten“ während der Anhörung gaben, für die allermeisten von denen endet die Pressefreiheit spätestens dann, wenn es um Assange geht. In der Frage ist sich die politische Klasse der USA (fast) einig: Einem Imperium und seinen dunklen Machenschaften pinkelt man nicht ungestraft ans Bein. Da passt zwischen Obama, Trump und Biden kein Stück Papier.
Und wir?
Wir ziehen es vor, zu glauben, die Demokratie funktioniere aufs Schönste, Justitia wäre blind und sorge für Gerechtigkeit. Wir üben uns in Nibelungentreue und historischer Vergesslichkeit. Oft auch in bloßem Schweigen. Die jüngste Lieblingsidee des „nach-vorne Blickens“ (Obama) lautet, egal, wie die Insassen nach Guantanamo kamen und was ihnen geschah, der -wie man annehmen soll- einzige und allerschlimmste Kriegsverbrecher dieser Welt wird stracks verhaftet, wenn er auch nur deutschen Boden betreten sollte.
Wir sind ja schließlich keine (pro-russischen) Straßenköter, die an fremde Beine pinkeln. Mannhaft pinkeln wir lieber im Stehen gegen den Wind.
Geehrte Frau Erler -
Ich finde es ziemlich verwunderlich, dass so viele Leute, die es eigentlich besser wissen müssten, immer noch glauben, das Internet sei einmal etwas anderes gewesen als "ein Instrument von staatlicher Zensur und sozialer Kontrolle". Darf ich Ihnen das 2018 erschienene Buch von Yasha Levine "Surveillance Valley. The secret military history of the Internet". Es ist akribisch recherchiert, mit einem 80-seitigen Nachweisappart versehen, und reicht inhaltlich weit über Soshana Zuboff's "The Age of Surveillance Capitalism" hinaus. Aber vielleicht kennen sie das Buch schon längst - ich habe es jedoch nie irgendwo erwähnt oder gar zitiert gefunden.
Nichts für ungut, bitte, Frau Erler. Es ist mir einfach darum zu tun, dass dieser Text endlich angemessen gewürdigt wird. Das würde vielleicht allerhand naives Gelaber über das Internet und alle seine Auswüchse verstummen lassen.
Schoenen Gruss,
Martin Hutter