„Mir war es wichtig, klar zu machen: Unsere Welt ist dramatisch unfriedlicher geworden und wir müssen mit eigener Stärke für Frieden eintreten.“
Das twitterte der deutsche Bundeskanzler, Olaf Scholz, laut Twitterprofil Regierungsvertreter*in, vor wenigen Stunden und fasste so einen Fernsehauftritt zusammen.
Es gibt Momente, in denen man das ganze Ausmaß des Dramas zu ahnen beginnt. Dieser gehörte dazu.
Lieber Olaf Scholz,
Ich glaube nicht, dass wir ein Volk von Idioten sind, dem man etwas klar machen muss. Seit vielen Jahren wird die Welt immer unfriedlicher. Nun haben wir einen Krieg, der niemals hätte begonnen werden dürfen. Jetzt ist nicht die Zeit, abzurechnen, wie es dazu kommen konnte, dass unser aller Schicksal an einem immer dünner werdenden Faden baumelt.
Gerade hat der Krieg ein ukrainisches Kernkraftwerk erreicht. (Ich lasse mal beiseite, dass diese ukrainischen Kernkraftwerke allesamt tickende Zeitbomben sind.)
Glücklicherweise brach das Feuer offenbar „nur“ in Verwaltungsgebäuden aus. Jedem ist klar (außer noch selig schlummernden Babys und träumerischen Kleinkindern), was es bedeuten würde, wenn in dieser „dramatisch unfriedlichen Welt“ auch noch eine Reaktorkatastrophe passierte. Allein die Richtung des Windes würde über die Dimension der Verwüstung entscheiden.
Ganz zu schweigen davon, dass die ganze gegenwärtige Misere unkontrolliert in einem Nuklearkrieg enden könnte.
Dieser Krieg muss gestoppt werden. Mit allen Mitteln der Diplomatie nach Ost und West.
Können Sie das?
Aktuell sind wir eingeklemmt in einer geopolitischen Rivalität zwischen zwei Atommächten. „Nukleare Teilhabe“, die Größe oder Schlagkraft der Bundeswehr machen da nicht den Unterschied.
Ich verdamme aus tiefstem Herzen, was aktuell in der Ukraine geschieht.
Aber es gibt etwas, was ich noch mehr verdamme: Diesen augenscheinlichen, blutigen Handel: die Opferung der Ukraine und notfalls auch ganz Europas gegen die wirtschaftliche Destabilisierung und letztendliche Vernichtung Russlands. Nichts davon liegt im deutschen oder europäischen Interesse.
Ich würde mich gerne irren, was diesen blutigen Handel betrifft, hoffen, dass das alles nur meiner Phantasie entspringt.
Aber seien wir doch ehrlich: Die Ukraine war für die USA nie viel mehr als ein geopolitischer Spielball, ein Mittel zur Schwächung Russlands. Ihre geopolitische Lage ist der Schlüssel. Ohne Julian Assange wüssten wir heute nicht, was der damalige US-amerikanische Botschafter in Moskau und heutige CIA-Chef Burns nach Washington schrieb, als es um die Überlegungen einer NATO-Mitgliedschaft der Ukraine (und Georgiens) ging. Moskau erklärte das 2008 zur roten Linie.
https://wikileaks.org/plusd/cables/08MOSCOW147_a.html
Die EU hat sich auf das geopolitische Spiel um die Ukraine eingelassen und sie zu Bedingungen assoziiert, die schon 2014 nicht mehr den Bedingungen und Bedürfnissen des Landes gerecht wurden. Wirtschaftlich durfte die Ukraine dort dazugehören, wo es uns passte, politisch nie. Kein Wunder. Glaubt man dem EVP-Abgeordneten Posselt, konnten sich die EU- Mitgliedstaaten 2011 noch nicht mal darauf einigen, ob die Ukraine überhaupt europäisch wäre.
Über Jahre hat die EU alles schöngeredet, was die Ukraine betrifft, die Augen vor ihrem Niedergang verschlossen. Seit 2013 wurde das mit soviel Potential gesegnete Land immer ärmer, ausgebeutet von einer Clicque international vernetzter Oligarchen, immer am Tropf internationaler und europäischer Geldgeber hängend, mit einer zerrütteten Demokratie und zutiefst korrupt. Die Bevölkerung der Ukraine hat für den politischen Bruch mit Russland so viel bezahlt, ohne etwas dafür zu bekommen.
Seit 2014 mit dem Westen politisch alliiert, wurde die Ukraine nie als Bruder, Schwester oder ein anderes teures Familienmitglied betrachtet, um das man sich ehrlich sorgt und kümmert. Der Bruderkrieg im Donbass hat auch keinen gekümmert, aber ich halte der damaligen Bundeskanzlerin bis heute zugute, dass sie sich der Versuchung entgegenstemmte, dass 2014 die NATO in dieses Schlachtfeld reingezogen wurde. Das war, so wie auch die Verteidigung der deutschen und europäischen Interessen an Nord Stream 2, eine ihrer Glanzleistungen.
Dass jetzt das Europäische Parlament der Ukraine einen EU-Kandidatenstatus geben will, wo nicht einmal mehr klar ist, wie die Ukraine das aktuelle Kriegsgeschehen überhaupt überlebt, ist nur eine weitere leere Geste. 2011 gab es schon einmal diese Forderung im Europäischen Parlament. Damals hätte sie etwas bedeutet. Damals hätte auch Russland mitgespielt. Aber damals beschloss die EU, sich lieber mit der ukrainischen Opposition gemein zu machen, zu der auch Neonazis gehörten (nicht viele, aber einer ist schon mehr als genug).
Mit uns oder mit Russland, so lautete der damalige Schlachtruf.
Und jetzt?
Mit der Ukraine wurde (und wird) großes Schindluder getrieben (und ukrainische Eliten haben willig mitgemacht und sich die Taschen gefüllt).
Aber nun ist ein ganzes Volk ganz allein, dessen Land zur Kriegswüste zu werden droht. Verantwortlich für diese Aggression ist die russische Führung. Sie verdient volle Verachtung und Verurteilung.
Aber nichts davon fiel vom Himmel, über Nacht. Niemand sollte so tun, als hätte man nicht gewusst, dass das geopolitische Tauziehen um die Ukraine wie Russisch Roulette ist. Eine Kugel steckt immer im Lauf.
Hat irgendeiner dieser Konfrontationsstrategen je darüber nachgedacht?
Und was ist nun unsere Antwort?
Waffen für die kämpfenden Ukrainer, Freischärler, die in den Kampf ziehen, Friedenslieder im Radio, Solidaritätsadressen, Aufnahme von Flüchtenden, aber auch die gezielte Zerrüttung eines weiteren, genauer gesagt des größten Landes in Europa und die Hinnahme der strategischen Schwächung des Kontinents, der unser Zuhause ist.
Auge um Auge, Zahn um Zahn, ist eine sehr archaische Vorstellung von Gerechtigkeit. In der Regel praktizieren das nur Stämme, die der Blutrache frönen.
Man sollte das nicht mit einem Plan für Frieden verwechseln. Nicht, wenn wir nicht einmal wissen, wie sehr die Situation noch weiter außer Kontrolle geraten kann.
Haben Sie einen Friedenplan, Herr Bundeskanzler?
Gedanken wie diese wären, wie eine Freundin meinte, nichts als eine Flaschenpost, die verloren in den Weltmeeren vor sich hintreibt.
Aber ich habe ein Kind. Ich habe Enkel. Meine Familie ist eine von vielen in diesem Land.
Daher bitte ich Sie, laden Sie zum Friedensgipfel nach Berlin ein. Heute noch. Eine Friedensinitiative kommt nie zu früh.
Wenn es zwei wichtige Lehre aus deutscher Geschichte gibt, dann doch die: Verbrechen müssen benannt und gesühnt werden, die Schuldigen bestraft, aber jedes Volk hat auch einen Neuanfang verdient und der gelingt nur mit ausgestreckter Hand.
Danke für den Beitrag 🙏
Glänzender Beitrag! Man möchte geradezu beten, er möge Gehör finden!